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Pokal im Winter

 

Lieber Klaus Allofs, lieber Thomas Schaaf,

ach, was habe ich für Euch und Euren Verein immer große Sympathien gehabt! Der eher kleine Verein Werder Bremen aus der mittelgroßen Stadt, der sich die letzten Jahrzehnte eigentlich skandalfrei durch die Fußball-Bundesliga kickte.

Schon seit Jahrzehnten hielt meine Sympathie für Euch an, seit der Verein einem - wie ich lange Zeit dachte - höchst mittelmäßigen Trainer die Chance gab, sich über mehr als ein Jahrzehnt lang zu entfalten. Mit sensationellem Erfolgen! Es gibt Zeugen dafür, dass ich völlig niedergeschlagen war, als Euer Spieler Kutzop die deutsche Meisterschaft für Euch vergab, als er in letzter Minute des vorentscheidenden Spiels den Elfmeter an den Torpfosten der Münchner Bayern semmelte. Die Träne der Trauer konnte ich noch wegdrücken.

Aber vor zwei Jahren! Als Ihr ja irgendwie doch überraschend als vorzeitiger Deutscher Meister aus München heimkehrtet und Thomas Schaaf noch auf dem Flugfeld aus irgendeiner Luke des Flugzeuges heraus die Werder-Fahne schwenkte, da konnte ich mir die Träne der Rührung nicht verkneifen, genau wie meine Fußball-desinteressierte Begleiterin. Das fand ich schön. Zumal "unser Ivan", also Ivan Klasnic, bei seinem Tor den Torwart-Titan Kahn ziemlich rostig aussehen ließ.

Und kürzlich war er mal wieder da, der verlorene Sohn Ivan, "zu Hause", mit seiner ganzen Mannschaft. Und mit Euch beiden. Zum Pokal-Spiel im Viertelfinale des DFB-Pokals. Am Hamburger Millerntor, bei "meinem" Verein - dem FC St. Pauli.

Der Ablauf des Tages und Abends ist ja an vielen Stellen schon dokumentiert und beschrieben - drum hier nur die Kurzfassung: das Spiel war für 20:30 Uhr angesetzt, sollte live im Fernsehen gezeigt werden. Seit Wochen war der Fußballplatz gefroren. Tagsüber war der Schnee vom Spielfeld geräumt worden, so dass nur noch der gefrorene Boden frei lag. Auf so etwas kann man durchaus Fußball spielen - das passiert in Deutschland im Winter von der zweiten Bundesliga an abwärts Wochenende für Wochenende zehntausendfach.

Wie der Presse undementiert zu entnehmen war, habt Ihr beide den ganzen Tag über massiv auf den Schiedsrichten eingewirkt, um ihn in seiner Entscheidung für oder gegen ein Spiel zu beeinflussen. Unter anderem wurde erklärt, dass Schiedsrichter und der FC St. Pauli die Schuld daran hätten, wenn sich ein Spieler verletzen würde und darum die Weltmeisterschaft nicht gewonnen würde. Der Schiedsrichter widersetzte sich Eurem Druck. Eineinhalb Stunden vor Spielbeginn fing es wieder heftig zu schneien an, da war das Stadion schon fast voll und die Fernsehkameras einsatzbereit - das Spiel wurde angepfiffen.

Ihr erklärtet bis direkt vor dem Spiel, dass man auf dem Platz keinen Fußball spielen könne. Eure Mannschaft erwies sich als sehr brav, hielt sich an Eure Vorgabe und verzichtete weitestgehend auf das Fußballspielen. Der FC St. Pauli, derzeit wieder dabei, den Aufstieg in die zweithöchste Spielklasse zu verspielen, gewann gegen den europäischen Championsleague-Teilnehmer Werder Bremen mit 3:1. Außer Preußen Münster und dem VfL Bochum hat sich in dem Spieljahr noch keine Mannschaft so dermaßen schwach präsentiert - glatte Arbeitsverweigerung.

Fernsehaufnahmen zeigten: Das Bremer Tor war irregulär, ein reguläres Tor von St. Pauli wurde nicht gegeben. Das "reale" Spielergebnis wäre also 4:0 für St. Pauli gewesen. Niemand hätte sich über einen solchen Endstand beklagen können.

Der Werder-Spieler Miroslav Klose kam während eines Laufduells zu Fall (sicherlich war dort der schwierige Boden beteiligt), kommt im Sturz zwischen die Beine eine St. Pauli-Spielers (kann bei jedem Wetter passieren), zerrt sich einige Sehnen im Arm und kann drei Wochen lang kein Fußball spielen. Die Weltmeisterschaft für Deutschland dürfte Euren Worten zufolge damit futsch sein, Schiedsrichter XY und der FC St. Pauli sind Schuld! Und haben endlich mal massiven Einfluss auf den Weltfußball. Obwohl: die Verletzung von Klose tat allen leid. Niemand, auch kein St. Pauli-Fan, gönnt ihm eine Verletzung!

Euch kann ich es ja sagen: wenn ich ein Schiedsrichter mit einer freien Entscheidungsmöglichkeit gewesen wäre - ich hätte das Spiel auf dem Boden nicht angepfiffen! Es waren sehr schwierige Bedingungen. Dass jedoch auf dem Boden auch Fußball gespielt werden kann, zeigte St. Pauli ja durchaus. Natürlich kommt es da immer mal wieder zu bizarren und konischen Szenen, aber wenn man wollte konnte man durchaus gute Spielzüge zuwege bringen.

Doch, doch, ich weiß durchaus, wovon ich rede - in meiner ebenso bemühten wie kläglichen zehnjährigen Fußball-äh-karierre habe ich in Kreis- und Bezirksligen dutzendfach auf solchen und ähnlichen Böden gespielt. Mein einziges "richtiges" Eigentor erzielte ich, weil ich nach einer Ecke auf einer blanken Eisfläche ausrutschte und ungeschickt mit dem Rücken gegen den ansegelnden Ball plumpste. Einen der größten und triumphalsten Siege meiner Fußballkarierre errang ich auf einem Boden ganz ähnlich wie am kürzlich Millerntor. Der Unterschied war: wir hatten das Spielen auf einem solchen Boden immer wieder trainiert - unser Gegner nicht. Der war in die Sporthalle ausgewichen.

Ihr wart nicht groß in der Halle, aber anstatt auf Schnee und Eis im schon mollig warmen Antalya...

Ein weiterer Unterschied war: WIR Hobbykicker wollten damals einfach engagiert Fußball spielen - egal wie der Boden war. Profis haben keine Lust dazu und wollen das eben nicht mehr. Engagement? Paah!

Werder Bremen hatte keine Lust, jammerte rum - hatte offenbar nicht begriffen: wenn der Schiedsrichter anpfeift, dann ist Fußball. Nicht mehr rumsabbeln und lamentieren.

So weit, so peinlich, was der europäische Spitzenverein Werder Bremen sich beim Regionalligisten FC St. Pauli erlaubte. Die bundesweite Schadenfreude geschieht Euch ganz recht.

Als Besucher im Stadion habe ich von den hässlichen, von Werder Bremen inszenierten Begleitumständen kaum etwas mitbekommen. Aber etwas fiel mir auf: ich stand wie immer in meiner gewohnten Ecke – der „Meckerecke“. Zwei bis drei Meter vor und zwei Meter unter dem Glaskasten, der als Fernsehstudio aufgebaut worden war. Nach dem Spiel standest Du, Thomas Schaaf, da ein paar Meter von mir entfernt und wurdest interviewt.

Minutenlang habe ich Dich beobachtet. Wie Du Dich offenbar nach jeder Beantwortung einer Frage vom Moderator abwendetest und Deinen Blick durch das auch eine Viertelstunde nach Spielende trotz klirrender Kälte noch komplett gefüllte Stadion schweifen ließt. In Deinem Blick war keine Niedergeschlagenheit nach dieser Niederlage, nein, es war etwas anderes. Eine gewisse Fassungslosigkeit sprach aus Deinem Gesicht - aber vor allem Widerwillen, Abscheu, Ekel.

Ich stand da, hatte längst vergessen, dass ich ja schon halb erfroren bin und dachte "was hat denn der?" Immerhin ist hier doch der Fußball zu Hause - intensiv und positiv, wie kaum irgendwo anders in Deutschland. Und dieser Typ ist angewidert davon. Der muss als Trainer doch auch einen Hauch Sympathie für die Fußballfaszination FC St. Pauli haben!

Hattest Du ganz offenkundig nicht.

Später hatte ich die Gelegenheit, mir in einer Aufzeichnung anzuhören, was Du dort bockig wie ein Fünfjähriger erzählt hast. Kein Wort der Anerkennung für die trotz der Platzverhältnisse tolle Leistung des zwei Klassen tiefer spielenden FC St. Pauli. Kein Wort der Erklärung der absolut jämmerlichen Leistungsverweigerung der eigenen Mannschaft. Kein Wort zu der Atmosphäre im Stadion. Nur dümmliches Lamento, der Boden sei schlecht gewesen, es sei kein Spiel möglich gewesen (mal ehrlich: was für ein Quatsch! Es war halt nur ein anderes spielen...), der Boden sei schlecht gewesen, und jetzt sei Klose für mindestens drei Monate nahezu bewegungsunfähig und die WM für ihn passé (auch das war ja sachlich völliger Blödsinn, wie man bereits nach wenigen Tagen wusste) und der Boden sei schlecht gewesen...

Solch arrogante und hochnäsige Schnösel mag man auf St. Pauli so rein gar nicht!

Die Arroganz, die Dir hierbei insgesamt aus jeder Pore quoll, fand ich abstoßend. Und dieser bockige Fünfjährige, nicht einmal fähig für einen Funken Respekt vor der Leistung der anderen Mannschaft, hatte nichts mehr gemeinsam mit dem ebenfalls kindlich die Fahne aus dem Flugzeug schwenkenden Sympathikus.

Und doch: gegen die Überheblichkeits-Show, die Euer Manager Klaus Allofs in der Halbzeit abgeliefert hat, war das Verhalten von Thomas Schaaf ja nichts. Auch vom Dir, Klaus Allofs, gab es nur pampiges und jammerndes Lamentieren, keine Worte über das ganz flott laufende Spiel, und eine genervte Überheblichkeit und Hochnäsigkeit dem etwas neben der Spur stehenden Präsidenten des FC St. Pauli gegenüber. Der Platz sei doch "nur zum Schlammcatchen" geeignet... Kannst Du mir bitte mal erklären, wie man auf knallhart gefrorenen Boden Schlammcatchen durchführen will??? Die armen Catcher holen sich ja den (Kälte-)Tod, nachdem sie sich zuvor alles aufgeschlagen haben… Blutrünstige Geschichte, sowas! Bei Catchern ist Dir die Gesundheit also völlig Wurscht - oder Du scheinst keine Ahnung zu haben, was Du da eigentlich redest...

Hanseatische Gediegenheit in allen Ehren (in Hamburg kennt man das!), aber mir war bis dahin gar nicht klar, dass der SV Werder Bremen ein Fußball-Verein ist, der vor Arroganz geradezu überquillt. Der dabei auch schon mal den Blick für das Geschehen verliert, auch vergisst, dass man zwei Spieler in den Reihen hat, die hier eine mehr oder weniger wichtige Zeit ihrer Entwicklung verbrachten. Beide, Andreas Reinke und Ivan Klasnic, zeigten in Interviews nach dem Spiel immerhin, dass man in Bremen nicht zwangsweise verblöden muss.

Mit Hochnasen haben wir auf St. Pauli fürwahr Erfahrung. Angefangen von Energie Cottbus ("Ede Geyer - unser bester Freier") über den HSV (es gab mal einen Präsidenten, der sich dabei filmen ließ, wie er in der Fankurve stand und lauthals "Scheiss St. Pauli" mitschrie - und es gibt noch immer einen Bundesliga-Mannschaftsmanager, der stolz öffentlich verkündete, dem FC St. Pauli "nicht das Schwarze unter den Fingernägeln zu gönnen") bis zum FC Bayern München (wo man sich herablassend über den "Rübenacker" und das Umfeld ausließ) schaut man immer wieder mal gerne herab auf das Schmuddelkind im "Freudenhaus der Liga". Nun also auch Ihr Bremer Pfeffersäcke! Haut doch einfach ab und bleibt mir gestohlen!

Binnen weniger Stunden war jegliche Sympathie für Werder Bremen restlos verflogen und mir eher unangenehm.

Eure Fans klammere ich da jedoch ausdrücklich aus - die sind von der besseren, faireren Sorte.

Von der besseren Sorte ist seit ein paar Jahren allerdings auch der FC Bayern München - der auf Initiative von Manager Uli Hoeness von seinem Olymp herunterstieg und genau in dem Moment zur Stelle war, als St. Pauli jede Hilfe am dringendsten brauchte, um weiter existieren zu können (wo wart Ihr da wohl?). Selbst die einzelnen Bayern-Spieler ließen sich nicht lumpen und machten bei der "Retter"-Kampagne nach Kräften mit. Meine Hochachtung und mein Respekt ist Uli Hoeness und Co. seitdem sicher.

Und genau die werden wiederkommen zum FC St. Pauli - im Halbfinale, das Ihr mit Eurer Hochnäsigkeit einfach ausgeschlagen habt. Sollen sie kommen, die Bayern. Leute, die da sind, wenn man sie am dringendsten braucht, sehe ich gerne. Auch beim Fußball, auch wenn sie Bayern München heißen. Sie müssen diesmal wieder auf einen Rübenacker - der Platz am Millerntor ist nach einigen Spielen auf völlig durchgeweichtem Boden total zerpflügt. Aber die Bayern sind sicherlich professionell genug, uns unseren Traum vom Pokalfinale einfach wegzuschnappen.

Aber wir haben immerhin noch solche Träume!

 

 


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