Radfahren...!

Radtouren von Tromsø zur Insel Kvaløya
1. Tour: Von Tromsø über Kvaløya nach Sommarøy und Hillesøya - und zurück
(131,1 km)

Ein Fahrrad-Tourenbericht über eine Radtour von Tromsø aus an das Nordmeer in Nord-Norwegen im August 2016
  mit 42 Bildern



Brücke Sommaröy

Eine Brücke im Nordmeer: Hier bin ich bereits kurz vor dem Ziel meiner Radtour. Die Brücke führt hinüber zur Insel und zum Dorf Sommarøy, ein kleines Stück vor der Insel Kvaløya im Norden Norwegens.

 

Tromsø, Mittwoch 17.8.2016, 10:15 Uhr

 

 

EIN TRAUM AUF ZWEI RÄDERN: MIT DEM FAHRRAD VON TROMSØ NACH SOMMARØY / HILLESØYA - UND ZURÜCK

Kein Zweifel: DAS ist die wohl schönste und eindruckvollste Tages-Radtour gewesen, die ich jemals gemacht habe! Traumhaft! Wundervoll!

Grund genug, meinen Bericht mit den Pleiten, Pech und Pannen des Tages anzufangen:

 

DA GEHT DOCH AN SO EINEM TAG AUCH WAS SCHIEF - ODER?

Ja, na klar!

Also fange ich meinen Bericht doch einfach mal mit allem, allem Negativen des Tages an:

* Da ich mir hier in Tromsø erst einmal ein Fahrrad mieten muss, habe ich am Vormittag zunächst relativ viel Zeit damit verloren, die ich an diesem Sommertag viel lieber für die Tour selber verwendet hätte!

* Mein Fitness-Zustand in diesem Jahr ist jämmerlich bis desolat: Kaum einmal gab's bisher längere Radtouren. Nicht mal eine Fahrrad-Streckenfahrt in diesem Jahr! Und nach dem absoluten emotionalen Höhepunkt bei den Cyclassics im August 2015 war die Luft für Jedermannrennen bei mir in diesem Jahr komplett raus - keinerlei Rennrad-Training in diesem Jahr! Und da ich mich heute für die heutige Tour auf der Karte ziemlich in der Entfernung verschätze, werden die letzten rund 20-30 Kilometer eine ziemliche Qual.

* Vergessen habe ich vor meiner Reise nach Norwegen meine Sportbrille. Klingt erstmal nicht soo schlimm - doch das Fahren ohne Brille bin ich seit vielen Jahren gar nicht mehr gewohnt, zumal meine Augen in den letzten Jahren sehr empfindlich geworden sind, auch durch mehrere Operationen. Meine Nachlässigkeit wird nach der Tour mit stark gereizten und feuerroten Augen bestraft. Als ich nach der Radtour in den Spiegel schaue, kippe ich vor Schreck fast um. Wie leichtsinnig! Aber ohne weitere Folgen, glücklicherweise.

* Bedingt dadurch, dass das Fahren selber an diesem Tag mit fortschreitender Zeit immer mühsamer wird, verzichte ich auf dem Rückweg auf den nur zwei bis drei Kilometer langen Abstecher nach Ersfjordbotn. Wie dumm! Ein absolut unverzeihlicher Fehler - wenn man denn schon mal in dieser Gegend ist!

* Und das aller-, aller-, allerschlimmste: Eine Fehlbedienung meiner Kamera sorgt dafür, dass beinahe alle Fotos, die ich auf der Tour mache, entsetzlich und nahezu unbrauchbar sind! Bei Radtouren mache ich gerne beim Fahren Fotos, quasi vom Lenker weg. Das kann man nur mit einer "richtigen" Kamera - mit einem Smartphone ist das wegen zu viel Fummelkram nicht möglich. Leider passiert mir heute dabei, dass ich, ohne es zu merken, irgendeinen Knopf und ein Drehrad gleichzeitig gleichzeitig berühre - und dadurch auf der Kamera einen "Spielzeugkamera-Modus" einschalte. Die Folge: Alle Bilder ab da - nach gerade mal ca. 30 km Weg - sind knallig kunterbunt und mit dunklen, fast finsteren, abgerundeten Ecken versehen. Absolut furchtbar! Das bemerke ich dann erst, als ich mir abends im Hotel die Fotos anschaue. Ich bin wirklich völlig entsetzt und den Tränen nahe. Und überlege sehr lange und ernsthaft, die gleiche Tour am Folgetag noch einmal zu fahren - nur, um bessere Fotos zu machen... Aber das habe ich dann doch nicht gemacht. Und einige Bilder ließen sich dann doch mit viel Mühe einigermaßen retten.

* Wie blöde, so eine tolle Tour alleine zu machen! Schließlich ist geteilte Freude doppelte Freude... Tja...

 

350 KM NÖRDLICH DES POLARKREISES: START IN EINEN PERFEKTEN FAHRRAD-TAG

Alles andere, aber wirklich ALLES andere an diesem Fahrrad-Tag ist schlicht perfekt! Also: PERFEKT! Traumhaft! Wundervoll!

Na gut: Fast, jedenfalls.

Zielsicher habe ich jedenfalls ein Stück des Paradieses auf der Karte erkannt und per Fahrrad angesteuert. Und was kann man sich mehr wünschen, als ins Paradies zu kommen - und sei es nur für ein paar Stunden?

Am zweiten Radel-Tag in Tromsø habe ich also nicht die Radtour des ersten Tages wiederholt (trotz der missratenen Fotos), aber trotzdem eine schöne Tour unternommen nach Kvaløyvågen - dazu gibt es auf einer zweiten Seite auch eine sehr kurze Beschreibung und mehrere Fotos. Denn auch diese Tour ist großartig - kommt jedoch, was die Schönheit der abwechslungsreichen Umgebung angeht, nicht ganz an die Tour von heute heran.

 

HÖCHSTE ZEIT FÜRS FAHRRADFAHREN - IN TROMSØ

Aber nun mal ganz langsam! Mal ganz von vorne! Also, im Einzelnen:

Eine Weile bin ich schon unterwegs gewesen, sozusagen auf einer selbst zusammengestellten Städtetour in Schweden und Norwegen: Nach einem Aufenthalt in Malmö/Kopenhagen/Lund geht es per Eisenbahn weiter nach Norwegen und immer ein Stück weiter nach Norden: Oslo, Trondheim, Bodø. Dort enden die norwegischen Eisenbahnen, also geht es mit einem kurzen Hüpfer per Flugzeug noch weiter nach Norden, nach Tromsø.

Bisher habe ich auf dieser Reise Städte gesehen, Bekannte getroffen, ein Kraftwerk-Konzert besucht, bin in den südlicheren Städten im Hochsommer bei acht Grad durch den Regen gelaufen. In Bodø dann, schon ein Stückchen nördlich des Polarkreises, bei wundervollem Wetter viel gewandert. Da wird es jetzt Zeit zum Radfahren. Hier oben in Tromsø. Der "Eismeerstadt", wie sie sich selber nennt. Rund 350 Kilometer nördlich des Polarkreises.

Es zieht mich in diesem Jahr einfach nach Norden - und je länger ich mich im Vorfeld mit der Reise beschäftige, umso weiter zieht es mich nach Norden. Den Abschluss der Reise bildet jetzt also Tromsø. Eine moderne Stadt, eine junge Stadt mit vielen Studenten, und insgesamt immerhin die achtgrößte Stadt Norwegens mit 74.000 Einwohnern. Die gesamte Fläche der Kommune ist etwa so groß, wie das Saarland - hui!

Und hier will ich mir jetzt also ein Fahrrad leihen. Die Wettervorhersage sagt für den heutigen Tag Polar-Traumwetter voraus: Sonnenschein pur, bis zu 20 Grad. Irgendwo im Internet habe ich gelesen, dass es an wenigen Tagen im Jahr hier oben sogar Temperaturen bis zu 20 Grad gäbe - und genau einen solchen Tag scheine ich gerade zu erwischen!

Toll! Also: Gleich nach dem Frühstück im Hotel mitten in der City von Tromsø ab zum Fahrrad-Verleih. Dem Internet zufolge scheint es hier in Tromsø nur einen einzigen Fahrradverleih zu geben, der an diesem Mittwoch um neun Uhr öffnen würde. Dem ist auch so, prompt stehe ich in einem ziemlich großen Laden mit einer unüberschaubaren Menge an Fahrrädern - da wird sich auf jeden Fall was finden! Völlig umsonst machte mir zuvor ein wenig Sorgen, ob es nicht ein Fehler ist, ohne Reservierung ein Rad mieten zu wollen. Es sieht so aus, als sei das kein großes Problem. Ich warte zunächst noch eine Weile, bis jemand das passende Rennrad hat.

 

 

 

Dann wird es ganz erstaunlich unkompliziert: Mein Wunsch nach einem Trekking-Fahrrad scheint in der Tat unproblematisch und wird mit einer Rückfrage nach meiner Körpergröße beantwortet. Und, was ich denn für eine Tour planen würde...? Nachdem ich ein wenig erzählt habe, dass es mir immer das Liebste sei, eine Gegend per Fahrrad zu erkunden und ich vielleicht gen Meer will, werde ich gefragt, woher ich denn käme - und es wird sofort auf deutsche Sprache gewechselt. Wie amüsant: Mein Gesprächspartner kommt, wie ich auch, aus Hamburg. Ich kann meine Neugierde nicht im Zaum halten und muss wissen, was ihn denn hierhin, nördlich des Polarkreises, verschlagen habe - und kann seine Gründe wahrlich gut nachvollziehen.

Und stehe dann recht bald auf der Straße vor dem Laden - mit einem schicken, flotten und wohl nahezu neuen Trekkingbike, für das ich eine Tagesmiete von immerhin umgerechnet rund 27 Euro Miete bezahlt habe (plus eine Kaution) und es mir für zwei Tage gegönnt habe, genauer: Zweimal 24 Stunden (was bedeutet, dass ich das Rad erst in zwei Tagen am Vormittag zurück geben muss und mich nicht am morgigen Tag um irgendwelche Ladenschlusszeiten scheren brauche). Norwegen eben: Die Preise sind allgemein höher, als wir es daheim gewohnt sind - aber das weiß man ja, wenn man dorthin fährt.

Das gilt ebenso übrigens für die topografische Karte der Region Kvaløya, die ich mir in dem Geschäft zusätzlich gönne - für umgerechnet rund 20 Euro. Der Verkäufer schaut mich zwar ziemlich irritiert an, als ich nach einer Papierkarte frage. Schließlich könne man doch alles auf Google-Maps oder so sehen. Aber: Ich will einfach den großen Überblick - und nicht immer erst meine Lesebrille herauskramen, um dann auf dem winzigen Display meines Telefons wild hin und her zu zoomen. Ich bin da eher traditionell eingestellt und finde richtige Karten einfach hilfreich. Letztlich ergibt sich auch der Verkäufer in sein Schicksal und wehrt sich nicht weiter, mir die Karte zu verkaufen... Mit ein paar Tipps, wohin man leicht fahren könnte, verabschiedet er sich mit den besten Wünschen für eine gute Tour.

Und genau dieser Kauf der Karte ist die goldene Entscheidung des Tages! Denn: Als ich mir dann etwas später im Hotel (wohin ich nochmal geeilt bin, um mich ein wenig umzuziehen, Wasser und etwas zu Essen einzupacken) die Karte komplett öffne und anschaue - da ist mir sofort und schlagartig klar, wohin meine Radtour gehen soll. Wohin sie gehen muss! Weil es dort einfach am interessantesten, schönsten und abgelegendsten aussieht: Auf die ganz im Westen, bereits im Nordmeer, gelegene kleine Insel mit der Ortschaft Sommarøy soll es gehen, basta! Eine Ansammlung von kleinen Inseln und Schären, gelegen vor der durch Fjorde und Sunde absurd und bizarr geformten Insel Kvaløya (die "Walinsel", auf samisch "Sállir"). Ob ich das auf dem Vier-Zoll-Display meines Handys auch in dieser Klarheit gesehen und so wahrgenommen hätte? Ich mag es nicht wirklich glauben...

Auf ca. 40-45 km Weg schätze ich die Strecke von Tromsø aus - das sollte doch zu schaffen sein. Auch, wenn ich in diesem Jahr extrem faul war, was Fahrradfahren und -Touren anbelangt. Aber ich will ja kein Rennen fahren, habe noch lange Zeit, bis es dunkel wird - Sonnenuntergang ist jetzt, Mitte August (also immerhin schon zwei Monate nach Sonnenhöchststand), hier in Tromsø gegen 22 Uhr. Und am Tag zuvor merke ich: Richtig dunkel wird es erst gegen Mitternacht - nach einer langen, fast magischen Dämmerung.

Trotzdem sind rund 80 km, die ich vor mir habe, auf einem unbekannten Fahrrad kein Grund zum Trödeln. Also: Los jetzt!

 

EINEN HALBEN BOGEN UM DIE CITY TROMSØ

Um Viertel nach zehn geht es auf meine Tour. In das Fahrrad habe ich mich schon nach spätestens 50 Metern auf dem Weg vom Fahrrad-Verleih zum Hotel verliebt. Es ist sehr leicht, leichtgängig, passt zu meinen Körpermaßen - ein perfektes Rad für mein Anliegen! Es verführt mich zum Fahrradfahren.

Tromsø liegt ja vor allem auf der Insel Tromsøya, umgeben von Sunden - also Meerengen. Mein Hotel ist an der östlichen Seite der Stadt, mitten im Zentrum - und da ich ja gen Westen will, muss ich also die Stadt erst queren. Klingt simpel - ist es aber nicht so ganz. Denn die kleine Insel ist durchaus hügelig. Man hat die Wahl, sich auf schlecht beschilderter Route auf steilem Weg auf rund 130 m Höhe hinauf zu schrauben und spart dann einige Kilometer. Oder man folgt einer Radsteckenbeschilderung und schlägt einen Bogen um den Süden der kleinen Insel und hat dann sechs bis sieben zusätzliche Kilometer, aber zumeist ebenes Terrain.

Radweg in Tromsö

Die ersten Eindrücke von der Strecke: Ein toller, breiter Radweg. Und ein schönes Panorama mit den Bergen - auf anderen Inseln.

 

 

 

Ich entscheide mich für letzteres. Es gibt einen schönen kombinierten Fuß-/Radweg. So breit, wie ich es sonst nur aus den Niederlanden kenne. Hin und wieder sehe ich eine Beschriftung auf dem Asphalt: "Takk for at du sykler" - und bin irgendetwas zwischen irritiert und richtig gerührt! "Danke, dass Du Fahrrad fährst" - man stelle sich mal eine solch respektvolle Beschriftung im Autoland Deutschland vor... Wenn man in einer Stadt wie Hamburg lebt, in der Fahrradfahrer allgemein und prinzipiell von den meisten gehasst, bedroht und beschimpft werden (oder durch Taxifahrer "durch Todesängste erzogen" werden - wörtliches Zitat), dann kommt einem so ein freundlicher Spruch auf dem Radweg im ersten Moment wie reiner Spott vor. Werde ich etwa langsam zynisch? Aber ich bin ja in Norwegen. Also ist alles gut!

Rollski Läufer

Rollski-Läufer im Anmarsch! In meinem ganzen Leben habe ich zusammengenommen noch nicht so viele Rollski-Läufer gesehen, wie am heutigen Tag auf dieser Tour.

 

 

 

Ja, es lässt sich wunderbar radeln auf dem Weg. Kein Problem, den Fußgängern auszuweichen - der Weg ist ja breit genug. Auch, als mir vier Rollski-Läufer, alle nebeneinander, entgegen-kommen, gibt es kein Problem. Man grüßt freundlich, nimmt Rücksicht aufeinander, und alles ist immer noch gut. Das ist mir aber auch noch nie passiert: So viele Rollskiläufer auf dem Radweg im Hochsommer.

 

 

 

Es geht am Flughafen vorbei, der Ausblick über den Sund auf die Berge ist die ganze Zeit schon fantastisch, und vor mir liegt eine Brücke über den "Sandnessund". Bestimmt 50 m hoch (wohl für Seeschiffe noch befahrbar), relativ steil. Auch die Brücke ist mit abgetrennten Fuß-/Radweg ausgestattet. Ein wenig komme ich ins Schnaufen, als ich hinauf fahre - und bin fast erschocken und etwas verärgert, als es hinter mir klingelt und ein anderer Radler flott und extrem locker und leicht die Brücke hinauf flitzt. Manchmal haben e-Bikes ja schon fast etwas unanständiges!

Blick von Brücke Tromsö

Der Blick von der Sandnes-Sund-Brücke nach Norden. Heute zwar nicht meine Richtung (dafür aber morgen), trotzdem ein schöner Ausblick!

 

 

 

Macht aber auch nix, ich bin ja im Urlaub. Als ich die Brücke mit ihren sieben Steigungs-prozenten bezwungen habe, mache ich sowieso erstmal einen Stopp. Schon allein, um in Ruhe einen Blick auf die grandiose Umgebung zu werfen, sollte man das ruhig machen. Es ist schön hier! Der Start eines Jets vom Flughafen nebenan stört da nicht weiter.

Der Sandnessund hat in Deutschland eine gewisse Berühmtheit: Im Zweiten Weltkrieg wurde genau dort im von Deutschland besetzten Norwegen im November 1944 das letzte deutsche Schlachtschiff - die Tirpitz - von einem britischen Bomberkommando versenkt. Darum kümmere ich mich heute aber nicht weiter.

 

AUSSERHALB VON TROMSØ - IMMER AUSSICHTSREICH AN FJORDEN ENTLANG

 

 

 

Nach der Brücke landet man in der Ortschaft Kvaløysletta, schlägt dort nach links ein und folgt einfach weiterhin dem großzügigen Fußgänger-/ Radweg. Alles kein Problem. Den Blick kann man schweifen lassen, der Weg selber erfordert nur selten mal größere Konzentration, etwa bei Ausfahrten, kleinen Einmündungen oder Fußgängern. Davon gibt es hier aber nicht viele. Die Landschaft begeistert mich sehr, der blaue Himmel mit ein paar Schleier- und Schönwetterwolken tut sein Übriges. Es ist kurz nach 11 Uhr und noch sind die angekündigten 20 Grad wohl nicht erreicht, aber schon jetzt ist auch das Wetter fast magisch. Ich ahne, dass mir eine tolle Radtour bevorsteht!

Rennradfahrer vor Bergmassiv

Der Rennradfahrer ist um einiges schneller, als ich. Macht nix - ich fahre ja für die Landschaft. Und da sind die Bergmassive da vorne schon beeindruckend.

 

 

 

Andere Radfahrer sehe ich kaum, warum auch? Hier ist es ein ganz normaler Mittwoch im August. Mit dem für mich letztlich völlig neuen Rad bin ich nicht sehr schnell, aber doch zügig unterwegs. Irgendwann rauscht ein Rennradfahrer flott an mir vorbei. Ich hingegen will hier ja vor allem die Gegend genießen. 15 km habe ich ja schon hinter mir und das Gefühl, dass es nach zwei bis drei Abbiegungen gar nicht mehr sooo weit bis zu meinem Ziel ist.

Unterwegs mache ich immer wieder ein paar Fotos - und genieße die Kombination aus Bergen und Wasser. Die Berge sind teilweise mit Schneefeldern bedeckt, teilweise schroff, teilweise seicht, teilweise felsig, teilweise mit Gras bewachsen. Schon irgendwie eine etwas fremdartige Gegend.

An einer größeren Kreuzung beim Dorf Eidkjosen ist sogar die Richtung nach Sommarøy auf der Straße Nr. 862 ausgeschildert. Na, dann ist ja alles sehr einfach. Es gibt in diesem bergigen Terrain sowieso nur wenige Straßen, man hat kaum die Möglichkeit, sich ernsthaft zu verfahren.

 

 

 

Eine kurze Passage lang geht's durch Binnenland, bis ich wieder an das Ufer eines Fjords gelange, den Ausläufer des Kaldfjorden. Passend: Auch das kleine Dorf hier am Ende des Fjords heißt Kaldfjord. Neue Aussicht, neue Berge in der Umgebung - neue Faszination. Ich bin so begeistert von der für mich bisher fremde Umgebung, dass es mich wie von allein fast vorantreibt. Weiter, immer weiter - durch dieses magische Land aus Bergen, Wasser, üppigem Grün, guten Straßen und Radwegen und bunten Holzhäusern!

del veien

"Del veien" - "Teilt den Weg". Eigentlich kein Problem in dieser nicht sehr dicht besiedelten Gegend.

 

 

 

Ein Stückchen weiter endet der separate Radweg und wird auf die Straße verschwenkt. Macht auch nichts - die Straße ist nicht sehr stark befahren. Und alle verhalten sich sehr rücksichtsvoll zu Radfahrern - wie ich schnell merke. Sicherlich nicht allein eine Folge der riesigen Plakate mit der Aufforderung "Del veien" ("Teilt die Straße") mit einem Rennradfahrer und einem Autofahrer. Tolle Kampagne! Und ich kann hier genauso in Ruhe weiterfahren, wie bisher.

Ich folge der Straße direkt am Fjord entlang ein paar Kilometer lang, dann biegt der Weg nach Sommarøy beim Dorf Hendrikvik nach links ab. Ich verlasse den Kaldfjord, eine längere Strecke lang geht es nun wieder durch das Binnenland. Das hatte ich schon auf meiner Karte gesehen und diese Wegstrecke auf ca. 10-12 km geschätzt.

 

 

 

Dieser Weg hält allerdings zunächst zwei kleine Schrecken für mich bereit: Zum Einen ein Wegeschild mit erstmalig einer Entfernungs-angabe. Bis Sommarøy werden noch 40 km Weg angegeben. Puh! Ich bin jetzt rund eineinhalb Stunden unterwegs - in dem Glauben, dass ich insgesamt rund 40 km pro Strecke zu fahren hätte... Das sieht nun auf einen Schlag ganz anders aus! Immerhin habe ich schon 23 km auf meinem Tacho - und immer noch 40 km vor mir. Und jeder Zusatz-Kilometer zählt hier ja doppelt, da ich ja auch noch zurück fahren muss.

 

NICHTS IST SO SCHÖN, WIE EINE SELBST VERDIENTE AUSSICHT - HINAUF ALSO ZUM KATTFJORDEIDET

Der zweite kleine Schreck: Es geht spürbar bergauf - und das offenbar für längere Zeit und sehr konstant. Mein GPS-Gerät pendelt für längere Zeit beständig zwischen neun und zehn Prozent Steigung - manchmal gibt es ein paar kleinere "Dellen", die flacher sind. Das ist für mich Hamburger Flachländer eher ungewohnt. Gut, dass ich mich auf dem ungewohnten Fahrrad so wohl fühle. Aber fast 20 Minuten lang fahre ich die meiste Zeit weniger als 10 km/h - nur in kurzen, flacheren Abschnitten geht's mal auf "rasante" 14-15 km/h hoch. Irgendwie fühlt man sich ja doch dämlich, wenn man mit sieben oder acht km/h vor sich hin rollt.

Anstieg Strasse

Eine Steigung, soweit das Auge reicht. Autofahrer bemerken diese gar nicht - Radler schon.

Die Gegend um mich herum verändert sich rasant, als ich hier hinauf fahre. Trotz des lahmen Tempos: Binnen Minuten wird das üppige Grün vom Fjordrand schnell immer karger. Na klar: Ich bin hier ja weit nördlich des Polarkreises unterwegs. Das kann man bei dem mittlerweile wolkenlosen, tiefblauen Himmel und der angenehmen Temperatur allerdings schnell vergessen.

 

 

 

Ich fahre hier ein Tal zwischen Bergketten hinauf, links wie rechts sind diese Berge 800-900-1000 m hoch und sehr schnell kahl und felsig. Nach zehn Minuten Steigungsfahren brauche ich mal einen kurzen Stopp - vor mir selbst als kurze Fotopause getarnt. Auch diese Umgebung hier ist auf ihre Weise völlig faszinierend. Aus dem üppigen Baumbewuchs auf Meereshöhe sind hier in mittlerweile vielleicht 100 m Höhe nur noch einige eher krüppelige Bäumchen geworden, zumeist Birken. Polare Birken, eben.

Nach dem kurzem Stopp zieht es mich aber immer weiter hinauf. Von der Straße abzweigende, einzelne Wanderwege sind in dieser Umgebung wirklich sehr verlockend! Aber, nein: Ich radel hier weiter - nix mit Wandern! Natürlich! Aller Anstrengung zum Trotz mittlerweile voller Glückseligkeit. Denn: Die Ausblicke sind auch hier schlicht grandios - und, wie heißt es doch so schön: Die schönste Aussicht ist die selbstverdiente Aussicht!

Hochebene

Schon richtig hochalpin sehen die bis zu 1000 Meter hohe Berge aus, die das Tal begrenzen.

Und umso mehr ich mich anstrengende, umso mehr kann ich die Gegend also folglich genießen. Mein GPS-Höhenmesser zeigt mittlerweile eine Höhe von 160 m an.

Gegen 12:05 Uhr, nach gut 20 Minuten Anstieg, geht es erstmal nicht mehr weiter bergauf. Der Höhenmesser zeigt 170 m - mehr nicht. Vor zwei, drei Jahren wäre ich diese 170 m wohl recht locker raufgerauscht - war ich da tatsächlich mal über die Alpen gefahren? Aber jetzt... Na gut, Schwamm drüber...

Und erst jetzt, wo ich langsam wieder zu Luft komme, registriere ich so richtig bewusst, in was für einer mir bisher fremden Umgebung ich mich hier bewege. Karg, aber nicht öd und leer ist es hier um mich herum - die Gegend um mich herum hat sich total verändert, wirkt etwas verwunschen, unwirklich.

 

 

 

Die krüppeligen Birken, ein paar Sträucher, Grase, Moose - ich bewege mich auf 170 m Höhe eindeutig im Bereich der Baumgrenze. Wenn man ein wenig genauer hinschaut, merkt man schnell und überall: Hier ist alles völlig anders, als in meiner gewohnten Umgebung! Alles! Danke ans Radfahren, dass ich das so gut bemerken kann :-) Eindrucksvolle Berge sehe ich um mich herum, wenn ich den Blick ein wenig schweifen lasse. Sie wirken sehr alpin, bestehen ca. 200 höher als mein Standort nur noch aus nacktem Fels, schroff und mit Firn-Feldern bedeckt. Auf der Karte sehe ich: Deutlich über 1000 m gehen diese Berge um mich herum kaum hinaus. Häuser gibt es nur eine Handvoll hier in dem Tal - und sie sehen nicht nach Wohnhäusern aus.

Und ich bewege mich hier auf der mit rauem Asphalt gut ausgebauten Straße recht gemütlich über die Hochebene - und staune über all dies. Staunen ist noch immer eine meiner Lieblingsbeschäftigungen!

See auf Hochebene

Ein See auf der Hochebene lädt zum Verweilen und zum Erkunden ein. Ich fahre aber trotzdem weiter.

 

 

 

Und diese verwunschene Gegend - ich habe sie fast für mich allein. Alle paar Minuten kommt mal ein Auto. Das stört mich aber nicht bei meinem "Landschafts-Aufsauge-Rausch". Rechts taucht in dieser Wildnis - und genau das ist es hier ja! - ein langgestreckter See auf. Es juckt mich erneut sehr in den Füßen - sie wollen wandern. Aber die Beine wollen radeln. Der Kopf will beides! Wird es sich wirklich lohnen, weiter zu radeln? Oder sollte ich dieser irgendwie unwirklich-kargen Wildnis hier einfach Stopp machen und sie erwandern? Vielleicht auf einen der Berge? Die Karte weist zwei solcher Wanderwege aus und die Aussicht muss umwerfend sein!

Ach, es ist sonst nicht so sehr meine Art, in meinen Reiseberichten ins Schwärmen zu kommen. Bitte sehen Sie es mir nach: Aber ich erlaube mir einfach, jetzt nur noch hemmungslos über diese Gegend hier zu schwärmen und sie zu preisen!

Denn: Es ist soo schön hier! Ich bin hier in ein traumhaftes, friedliches Fleckchen Erde geradelt. Ach, was für ein großes Glück, hier unter wolkenfreiem, unwirklich tiefblauem Himmel in praller Sonne und doch bei höchst angenehmen Fahrrad-Temperaturen durch eine polare Gegend zu fahren!

Was für eine Landschaft! Man MUSS ihr mehr Zeit widmen! Und selbst mit dem Fahrrad ist man eigentlich viel zu schnell dafür...

 

 

 

Bleiben oder weiterfahren? Während ich mich zu nichts wirklich entscheiden kann, passieren drei Dinge: a) es fängt an, zunächst langsam und seicht, bergab zu gehen, b) ich habe endlich Gelegenheit, beim Fahren ein "Vorsicht Elch!"-Schild zu fotografieren (und sehe leider keinen!) und c) betätige dabei, wie eingangs schon erwähnt, offenbar irgendeinen unvorhergesehenen Drehknopf an meiner Kamera - mit der Folge, ab hier für den Rest des Tages mit dem "Spielzeugkamera-Modus" zu fotografieren. Mit desolaten Folgen für die Bilder: Mindestens drei Viertel aller danach gemachten Fotos sind mit entsetzlich dunklen Rändern, insgesamt zu dunkel, mit absurd kräftigen Farben. Einige der Fotos kann ich noch retten - die meisten nicht.

Die gemächliche Abfahrt allerdings nimmt mir meine Entscheidung einfach ab - ich lasse einfach rollen. Die Birken neben mir werden binnen Minuten wieder größer. Die Perspektive auf die Berge ändert sich mehr und mehr, ich fahre eine langgezogene Kurve nach rechts und biege einmal nach links ab - und finde mich am Ende eines Fjords wieder, dem "Nordfjorden", der Teil des "Kattfjorden" ist. Nach nicht einmal einer Viertelstunde Fahrt hinab ist wieder alles völlig anders um mich herum: Dunkelblaues Wasser des Fjordes, eine Industrieanlage, ein paar Angler stehen auf einem Steg, es wächst wieder üppiges Grün um mich herum.

 

NEUER FJORD, NEUES BLAU

Der Fjord zu meiner Rechten begleitet mich nun die nächsten sieben bis acht Kilometer. Diesmal hat das Wasser ein kräftiges, dunkles Blau zu bieten. Die Straße geht immer mal wieder ein wenig auf und ab. Hin und wieder fahre ich an einzelnen Häusern vorbei und fast immer sind diese in diesem typischen leuchtenden Rot bemalt. Auf der anderen Seite des Fjords sind immer wieder andere Berggipfel zu sehen.

Nordfjorden

Ein Blick über den Nordfjorden zeigt nicht nur phantastische Bergformationen, sondern auch einige der hier üblichen, vielen Freileitungen. Stromkabel, die einem beharrlich ins Motiv hängen.

 

 

 

Und noch etwas ist anders: Der Fjord scheint verantwortlich für eigene Wind-verhältnisse. Bisher habe ich, auch bei meinen Stopps, kaum ein Lüftchen wahrgenommen - jetzt plötzlich spüre ich einen strammen Gegenwind. Da muss ich jetzt wohl durch!

Der "Nordfjorden" knickt ab in den "Sørfjorden". Hätte ich ein Boot dabei, dann wären es 400, 500 m zur anderen Seite des Fjords. Ohne Boot muss ich ca. drei Kilometer an dem kleinen Fjord entlang fahren, an dessen Ende fast eine 180-Grad-Wende machen und auf der anderen Seite des Fjords weiter fahren, wieder die drei Kilometer. Das ist so wohl ziemlich typisch für Norwegen...

 

 

 

Der Wind lässt am Sørfjorden nach und die Umgebung dieses Fjords ist nicht so schroff, es gibt seichte und dicht bewachsene Hügel am Fjordrand. Und es gibt eine kleine Ansammlung von Häusern - das Dorf Sjøtun ist einfach toll und liegt wunderschön. Wie ja eigentlich alle Dörfer hier in dieser Landschaft. Eigentlich ist hier ja überall alles schön. Alles!

Während der Fahrt mache ich Spielzeug-Kamera-Foto nach Spielzeug-Kamera-Foto. Entwickle dabei den sehnlichen Wunsch, dass doch auch hier in der Gegend die Stromleitungen doch bitte unterirdisch verlegt werden sollten! Diese Überlandleitungen hier sind schon recht fotofeindlich. Okay - man könnte anhalten und eine bessere Perspektive ohne die schwarzen Streifen auf dem Bild suchen, alle 100 m das Fahrrad abstellen und nach vorne laufen. Aber, nun gut - man kann nicht alles haben. Und an der Schönheit der Gegend ändert das sowieso nichts...

Und überhaupt: Wieso ist das Wasser hier denn so schillernd türkis?

Der kleine Sørfjorden geht über in den großen, breiten Kattfjorden, der sich zum Nordmeer hin immer weiter öffnet - und man fährt weiterhin immer am Ufer des Fjords entlang, in ständigem, gemächlichem Auf und Ab über kleine Hügel. Die Kilometer purzeln so dahin - hin und wieder denke ich: Mensch, das musst du ja auch wieder alles zurück fahren, und zwar heute! Aber die Neugier ist viel zu groß und schiebt mich immer weiter, gerade am Dorf Bogen vorbei.

Sandneshamn

Traumstand im Dorf Sandneshamn.

 

 

 

Und schon kündigt sich das nächste Dorf an: Sandneshamn. Wieder wunderschön gelegen! In einer großen Bucht, ein paar Boote dümpeln im leuchtend blauem Wasser über hellem Grund mit leuchtend roten oder schneeweißen Holzhäusern davor. Bizarr geformte Inseln und Felsen liegen einige Kilometer vor dem Dorf im Fjord. Ein Traum!

Nein - eigentlich schöner, als ein Traum üblicherweise ist!

Also - hier muss man doch eine Pause machen!

Denke ich - und fahre weiter. Immer weiter will ich durch diese magische Landschaft - bis es nicht mehr weiter geht! Vor lauter Begeisterung kann ich gar nicht bremsen!

Dachte ich! Doch dann kommt:

 

DER TUNNEL...

Plötzlich und unvermittelt taucht vor mit ein Tunnel auf. Ein Tunnel! Darüber hatte ich mir noch gar keine Gedanken gemacht! Da bremse ich dann doch besser mal. Muss erstmal die Lage checken.

Der Otervik-Tunnelen. 607 m steht auf dem Schild.

Ach, verdammt - was nun? Ich merke - upps, das gefällt mir so gar nicht! Wann bin ich denn überhaupt schon mal mit dem Fahrrad durch Tunnel gefahren? Eigentlich nur zwei-, dreimal in Italien, damals, bei der Alpenüberquerung. Ich hatte eine leichte Warnweste und ein Aufstecklicht dabei. Keiner der Tunnel war länger, als 250 m und immer schnurgerade. Alles überhaupt kein Problem!

Was aber hier tun? Hier mache ich nun erstmal eine Bestandaufnahme: Der Tunnel ist gut 600 m lang - keine allzu lange Strecke! Er hat ein paar Lampen - immerhin ein wenig Beleuchtung, wenn auch sehr funzelig. Das Ende des Tunnels ist nicht zu sehen - es gibt also irgendeinen Bogen, entweder horizontal oder vertikal oder beides. Mein Fahrrad hat keinerlei Licht, das ist in Norwegen auch nicht vorgeschrieben. Weder vorne noch hinten. Es gibt auch kein Katzenauge oder sonstwie reflektierendes Material. Natürlich habe ich auch keine Warnweste dabei, meine mich aber im Hinterkopf zu erinnern, irgendwo gelesen zu haben, dass dies in Norwegen in Tunnels Vorschrift ist. Natürlich habe ich auch keine Taschenlampe dabei, warum auch - es wird hier oben ja kaum dunkel. Mein Smartphone ist so ein einfaches Modell, dass es auch keine Taschenlampen-Funktion hat. Meine Klamotten sind dunkel, das Fahrrad ist Schwarz. In einem dunklen Tunnel bin ich quasi unsichtbar. Das wäre saugefährlich!

Es gibt vor dem Tunnel eine Abzweigung nach rechts, ein paar Häuser dort. Vielleicht kann man den Tunnel da ja irgendwie umfahren? Vielleicht über irgendeinen Hoppelweg? Hoffnungsfroh fahre ich den Abzweig - aber, nein, nach 200 m muss ich erkennen: Das ist kein Ausweg! Nur eine grandiose Aussicht - sonst nichts. Zurück also zur Tunneleinfahrt.

Was tun? Ich tippel etwas hin und her, schaue die Karte genau an, schwanke unentschlossen, denke mir mal: Pah, 600 m - das ist doch ein Klacks! Da bist Du durch, bevor irgendwas passieren kann! Aber: Ich merke auch, dass ich Angst habe, richtige Angst - wegen meiner "Unsichtbarkeit"! Was machst Du denn, wenn ein Auto von hinten kommt? Zur Seite ausweichen wird nicht gehen!

Verdammt! Angst ist ja manchmal ein guter Berater. Und man sollte in kritischen Situationen mal Angst haben - aber drauf achten, dass einen die Angst nicht hat. Keine Panik also!

 

 

 

Ich gehe ein Stück zurück, versuche die Straße hinter mir abzuchecken - kommen da irgendwelche Autos von hinten? Die ganze Zeit, die ich hier verzagt stehe, kam kein einziges Auto. Weit kann ich die geschwungene Straße nicht entlang schauen. Aber: Erst da entdecke ich das kleine Radler-Schild mit der Aufforderung "Trykk / Push" und einem Knopf darunter. Nanu? Was wird passieren? Neugierig drücke ich den Knopf - und das einzige, was ich bemerke: Neben dem "Vorsicht! Radfahrer!"-Schild (bzw. "Syklist i tunnel") an der Tunneleinfahrt blitzen zwei LED-Lämpchen beständig auf. Ist das etwa alles? Das sieht doch kein Mensch! - denke ich mir, schwinge mich auf mein Rad, drücke den Knopf nochmal.

Jetzt aber los! So schnell, wie es nur irgendwie geht, will ich hier durch - und sei es nur mit Gottvertrauen!

Mit aller Kraft fahre ich in den Tunnel - und merke schnell: Oh, Vorsicht! Es gibt leichte Orientierungsprobleme! Fast wäre ich gegen die Tunnelwand gefahren - aus dem grellen Sonnenlicht kommend sehe ich die finstere Wand gar nicht richtig bei diesem schummerigen Funzellicht. Also etwas weiter in die Mitte - und schnell jetzt, bitte.

Tunneldurchfahrt

Zugegeben: Die Gelassenheit, langsam rollend Fotos im Tunnel zu machen, habe ich erst auf der Rückfahrt... Und wenn man dann aus dem grellen Sonnenlicht hier hinein kommt, ist so eine Durchfahrt schon eine kleine Mutprobe.

Ich spüre, dass es leicht bergauf geht - nicht schlimm, aber doch spürbar. Ziemlich schnell schnaufe ich heftig. Ob vor Anstrengung oder vor Angst, weiß ich gar nicht richtig. Wohl beides. Aber für klare Gedanken habe ich gerade eh keinen Raum. Was für eine abrupte Änderung meiner Befindlichkeit...

Und dann - kommt das Auto!

Sehr plötzlich - und sehr laut. Sehr, sehr laut! Es dröhnt im Tunnel, wie verrückt. Also: RICHTIG LAUT DRÖHNT ES! Das Auto dröhnt - um mich herum, als sei es über mir, unter mir, neben mir. Verrückt! Aber ich kann unmöglich ausmachen, ob das Auto von vorne oder von hinten kommt - es ist wie um mich herum, jedenfalls vom Geräusch her. Von vorne sehe ich keine Lichter. Kurz werfe ich einen Blick über die Schulter nach hinten - auch kein Licht. Verdammt.

Jetzt ist mir aber so richtig unwohl - ich habe richtig Angst, mache mir richtig Sorgen, das Adrenalin schießt mir bis in die Haarspitzen. Von vorne naht weiterhin kein Licht. Also naht wohl wirklich von hinten ein Auto. Es ist einiges davon abhängig, dass das da hinten ein vernünftiger Mensch ist... Ich strampel wie verrückt, die Sekunden dehnen sich zu gefühlten Minuten.

Das Dröhnen wird lauter, immer lauter, bedrohlich LAUT. Meine Güte - was für ein bizarres Erlebnis! Allerdings völlig anderer Art, als alles andere bisher am heutigen Tag.

Nun, ich merke recht bald, dass der Fahrer sich eher langsam nähert. Vielleicht hat der tatsächlich doch das Blitzen neben dem Fahrradschild gesehen? Vor mir wird es hell - nicht ein Auto, sondern das Ende des Tunnels ist in Sicht. Schwupp, bin ich draußen, in greller Helligkeit. Knapp zwei Minuten Fahrt - wie für die Ewigkeit...

Eigentlich ist ja überhaupt nichts passiert - außer in meinem Kopf. Alles doch überhaupt kein Drama, eigentlich! Außer, dass in Nord-Norwegen ein Radfahrer und zwei Autos (ja, zwei) durch einen kurzen Tunnel gefahren sind. Aber, hoppla, was da in meinem Kopf ablief, das war schon ne ganze Menge, ein extremer Adrenalin-Schub!

Und doch bin ich plötzlich total angespannt und nassgeschwitzt... Und dass hier in Norwegen Räder komplett ohne Licht vermietet werden, finde ich gerade so richtig saublöd! Was soll das nur? Verdammt!

Sehr vorsichtig überholen mich nach der hinter dem Tunnel folgenden Kurve zwei Autos. Ach - Norweger sind so freundliche, geduldige, umsichtige Autofahrer, offenbar völlig ohne Aggression!

 

IM WUNDERLAND AUS MEER, INSELN UND FELSEN

Als ich dann nach dem Tunnel wieder klar sehen kann - kann ich kaum glauben was ich sehe. Schon vor dem Tunnel fand ich die Landschaft so schön, dass es kaum zu ertragen war, mir fast weh tat. Aber hier steigert sich alles nur noch weiter.

 

 

 

Eine große Bucht, das Wasser dunkelblau mit türkisen Stellen, zahlreiche Inseln, zum Teil flach und hügelig, zum Teil hoch und schroff, eine elegant und luftig geschwungene Brücke. Ein Blick auf die Karte zeigt: Das kann eigentlich nur die Brücke sein, die zur Insel Sommarøy führt - gar nicht mehr so weit entfernt. Bis zur Brücke noch einige Kilometer, dann noch ein paar km auf der Insel - alles zusammen vielleicht noch zehn Kilometer.

Ein Klacks! Das Ziel vor Augen zu haben ist auf dem Fahrrad immer, als würde man von einem Gummiband gezogen. Hier ist es wegen der weiten Sicht mal ein besonders langes Gummiband. Aber bei der Magie dieses Ortes ist das nur umso besser so.

Brücke nach Sommaröy

Fast so interessant, wie die schön geschwungene Brücke nach Sommarøy, finde ich die zahlreichen Dellen und Beulen in der Leitplanke. Da haben wohl schon öfters welche den Blick zu sehr schweifen lassen.

 

 

 

Ein Stückchen geht es mal weg von der Küste ins Binnenland. Eine Weggabelung gibt es tatsächlich noch - wer rechts abbiegt, kommt nicht mehr umhin, nach Sommarøy zu fahren. Das gilt auch für die beiden Quad-Fahrer, die dieses unglaublich friedliche Fleckchen Erde eine ganze Zeitlang mit furchtbarem Lärm füllen. Sowas stilloses! Ein Schild weist bis nach Sommarøy noch fünf Kilometer aus. Da fährt das Fahrrad von ganz allein. Ach, nee - das Gummiband zieht es.

Pausenlos kreist mein Blick durch die Runde. Ständig wechselt die Perspektive. Ach - eigentlich bin ich mit dem Fahrrad schon wieder viel zu schnell!

Die Brücke kommt zügig auf mich zu, wird dabei immer höher und etwas steiler - und plötzlich stehe ich hier mitten im polaren Nirgendwo vor einer roten Ampel! Eine rote Polar-Ampel, sozusagen. Eine rote Ampel mitten im Nordmeer! Vor unfassbar vielen Farben von Blau.

rote Ampel am Meer

Die rote Ampel vor der Brücke hier am Rande des Nordmeers kommt mir fast wie eine kleine Einladung vor, doch mal etwas mehr in die Gegend zu schauen, in der ich mich hier bewege und die insgesamt extrem abwechslungsreich ist.

Und glücklicherweise ist die Ampel rot! Ich begreife zuerst zwar gar nicht so richtig, warum, aber: So habe ich ein klein wenig Zeit und Gelegenheit, diesen Ort ein wenig auf mich wirken zu lassen. Und nicht vom Gummiband gleich weiter gezogen worden zu sein.

Das Dunkel-türkis-blau des Meeres ist sensationell, das Tiefblau des Himmels ebenso - und diese verlorenen Schären und Inseln da vorne. Wo bin ich hier bloß gelandet? Die Gegend ist wirklich so grandios, wie sie auf der Karte erscheint! Wo ich gelandet bin: Wohl in einem Teil des Paradieses! Wenn nicht gerade Quad-Fahrer an einem vorbeidonnern.

Die Ampel springt auf grün - jetzt heißt es also: Rüber über die Brücke! Sofort wird mir klar, was die Ampel soll. Die schlanke Brücke ist eine Art Sparversion, man hat nur gut einen Fahrstreifen angelegt. Also muss man abwechselnd von beiden Seiten über die Brücke. Also zügig rüber! Als ich gerade auf dem Scheitelpunkt der Brücke bin, kommt mir flott ein Auto entgegen. Auto und Fahrrad passen auf der Brücke gerade eben so aneinander vorbei - und dass der junge Mann am Steuer mit dem Handy locker am Ohr den Radler gar nicht richtig beachtet, macht die Sache nicht eben angenehmer für mich, denn ausweichen kann ich nicht. Und es wird verdammt knapp.

Fast beschert mir diese Begegnung eine Art "Nahtod-Erlebnis" (wie ich sie im heimischen Hamburg üblicherweise mehrmals wöchentlich erlebe). Andererseits: Es wäre ja auch praktisch gewesen! Direkt im Paradies zu Tode zu kommen, das hätte ja was - einen besseren Ort gäb's doch eigentlich kaum dafür. Andererseits merke ich deutlich: Auch im Paradies ist die Welt nicht heil.

Andererseits wär's ja auch überaus schade gewesen, hier oben auf der Brücke über den Haufen gerast zu werden - denn schließlich will ich ja noch mehr sehen von diesem Paradies hier...

 

UND DANN: SOMMARØY!

Hinter der Brücke komme ich ich nach keiner geringen Steigung prompt zu einem kleinen, etwas erhabenen Aussichtspunkt mit einem Tisch und Sitzplätzen. Also: Stopp! Was für ein Blick auf die vorgelagerte Inselwelt! Und gerade wird mir klar: Ja, ich bin hier auf einer Atlantikinsel! Mit dem Rad auf eine vor dem Festland Norwegens gelegene Insel geradelt. Das ist doch was!

 

 

 

Ein etwas älteres norwegisches Ehepaar ist auch hier. Und, wie es in Norwegen dann eben so ist: Die beiden sind einfach enorm freundlich! Ein paar freundliche Worte nur - und wenn man sich drauf einlässt, ist man gleich in einem Gespräch. Der Herr spricht supergutes Englisch, ich mittelgutes, die Dame nicht so gutes. Sie beteiligt sich an dem etwa zehnminütigen Gespräch eigentlich nur durch häufiges, freundliches und zustimmendes Kopfnicken - was wohl immer sagen soll: Ja, das habe ich verstanden! Die beiden hier warten auf die Ankunft von Verwandtschaft. Hier? will ich wissen. Ja - wenn das Schiff dann käme könnten sie das von hier aus gut sehen. Erst später kapiere ich: Ach, die Fähre von der Insel Senja nach Brensholmen ist sicherlich gemeint. Und Senja wird diese schroffe Insel sein, die in einiger Entfernung gut sichtbar mit wilden Bergen vor uns liegt. Ansonsten reden wird über das Fahrradfahren. Auch der Herr ist vor einigen Jahren hier in der Gegend unterwegs gewesen, mit Freunden. Die Landschaft sei ja wirklich schön gewesen - aber die vielen Mücken waren ja eine extreme Qual! "Mücken?" denke ich - welche Mücken?? Und kapiere sofort: Ich habe heute noch mehr Glück, als ich bisher geahnt habe! Ein Tag, wie ein Geschenk! Wortlos skeptisch schaut der Herr mich jedoch an, als ich sage dass ich gerade aus Tromsø käme - und heute auch noch wieder zurück wolle. 61 km sind immerhin schon auf dem Tacho.

Und immerhin ist es schon 14 Uhr - und ich will weiter. Natürlich! Also tschüß, einen schönen Tag noch, alles Gute. Die Herzlichkeit und Freundlichkeit der Norweger ist ja legendär - und ich bin ihr gerade mal wieder begegnet.

Häuser auf Sommaröy

Langsam wird die kleine Insel Sommarøy spannend! Das Blau des Wasser ist echt, das des Himmels auch. Rechts gibt es sogar einen Fußballplatz! Ich ahne, dass ich beim Blick auf die Karte einen richtige Rückschluss gezogen habe, mit der Entscheidung, hierhin zu fahren.

 

 

 

Kurz danach eine neue Begegnung - mit einer für heute neuen blauen Farbe. Ein "Tag im Blauen", sozusagen. Fast könnte ich sagen: Ich mache heute blau. Ein fast unnatürlich helles türkisblau lässt mich schon wieder in die Bremsen greifen. Pralle Sonne, schneeweißer, etwas ungepflegter Strand, hell-türkises Meer - da kommt fast Karibik-Feeling auf. Aber, gut, zugegeben: Die knapp 20 Grad geben Karibik-Gefühl dann doch nicht her. Und die Palmen fehlen auch. Aber, meine Güte, das hätte ich mir so kaum vorstellen können hier oben!

Deutlich mehr Häuser, als ich vermutet hätte, stehen hier in Sommarøy - keine Wildnis. Vieles sieht nach Ferienhäusern aus. Sogar ein (recht großes) Hotel ist ausgeschildert. Ich bin also doch nicht ganz der erste Mensch, der dieses traumhafte Fleckchen Erde entdeckt.

Ich passiere einen kleinen Hafen - neben einigen Motorbooten liegen auch Fischtrawler hier und es gibt auch entsprechende Gewerbehallen. Dieser kleine Ort ist eine wichtige Fischfangstation in Norwegen. Es ist also nicht nur Idylle hier, sondern auch ganz normales Leben findet an diesem Ende der Welt statt. Na klar!

 

VON SOMMARØY NACH HILLESØYA.
GANZ UND GAR ANGEKOMMEN - ENDLICH!!

Und noch eine Brücke gibt's, Richtung Westen, über den Sommarøy-Sund: Von der Insel Sommarøy zur Insel Hillesøya. Um die 80 m lang ist diese Brücke auf die letzte Insel vor dem Nordatlantik. Die Norwegisch-karibische Mischung bleibt auch hier erhalten - aber Palmen gibt es immer noch nicht. Nicht mal Polar-Palmen. Wie schade!

Aber alles bleibt magisch! Ein total magischer Ort ist das hier. Die Augen rotieren, die Kamera läuft nebenbei heiß und macht ein Spielzeug-Kamera-Bild nach dem anderen... Norwegen, wie aus dem Bilderbuch.

Ich stehe vor einer Wegegabelung, der letzten auf dieser Welt hier: Nehme ich den Nordvegen oder den Sørvegen? Ganz klar: Erst den Norden, dann den Süden. Viele schöne Holzhäuser begegnen mir hier - und natürlich sinniere ich darüber, wem diese Gebäude hier wohl gehören? Ob die Menschen hier wohl ständig leben? Und 65 km nach Tromsø zum arbeiten pendeln? Ich weiß es nicht, bringe es auch nicht in Erfahrung. Ob das hier eine Gegend der Reichen und Schönen ist? Keine Ahnung! Menschen begegnen mir nur wenige, mehrere Autos fahren hier auf Sightseeingtour - darunter verblüffend viele aus Finnland. Wie nahe Finnland ist, wird mir erst bewusst, als ich später ein wenig mehr Karten schaue. Ein leerer Reisebus steht da - ob sich hier zuweilen Busladungen Menschen ergießen?

Hillesöya

Blick die Buchten entlang der Insel Hillesøya. Die Berge im Hintergrund gehören nicht zur Insel - bilden aber ein schönes Panorama, oder?

 

 

 

Und, aaaach, Hillesøya ist ja noch ein wenig schöner, als Sommarøy! Jeden Winkel würde ich am liebsten erkunden. Nur: Ein wenig Unruhe kommt auch auf. Es sind ja immerhin 65 km bis hierhin gewesen - also muss ich das ja auch noch komplett wieder zurück! Oha! Das wird ja meine mit Abstand längste Radtour des Jahres! Und das auf nem Rad, das zwar prima läuft - aber eben doch erst seit heute 10 Uhr unter meinem Hintern ist. Ob das wohl gut geht? Na- das muss es ja... Und ich fange an zu grübeln: Fahre ich den genau gleichen Weg zurück, den ich her gekommen bin? Einschließlich Tunnel und Steigung auf die Hochebene? Oder - nehme ich eine alternative Route, fahre über den Ort Brensholmen und dann an der südlichen Küste der Insel Kvaløya entlang, die ich auf der Hinfahrt über die Hochebene durchquert habe. Neugierig auf Neues bin ich ja immer - und der Tunnel bliebe mir erspart. Aber, wer weiß, was mich dort erwarten würde? Andere Tunnel, andere Steigungen? Und darüber hinaus schätze ich die Länge des Umwegs auf ca. 20 km. Ich bin unentschieden...

Aber einstweilen rolle ich auf beiden Inseln noch gemütlich einige Straße entlang, zum gucken. Ein wenig an den Strand geht es noch. Am Rande baut eine Familie gerade ein großes Familienzelt auf. Die werden doch nicht....? Hier, neben dem Strand...? Das norwegische Jedermannrecht, gilt das auch hier am Strand...? Unfassbar! Fast platze ich vor Neid! Wo war denn eigentlich noch gleich MEIN Zelt?

Und fange ernsthaft an, zu überlegen, in dem Hotel auf Sommarøy nach einem Zimmer zu fragen. Das wäre ja schon ziemlich abgefahren: In Tromsø ein nicht gerade günstiges Zimmer - und dann hier auch noch eines? Immerhin gibt es hier ein Hotel, gar nicht mal klein. Und derzeit eine große Baustelle, es wird erweitert.

Nach einer Stunde hier auf den Inseln bin ich mir ganz, ganz sicher: Das hier ist ohne Zweifel einer der schönsten Flecken auf dieser Erde!

Für mich zumindest.

Ob es wohl gesundheitsschädlich ist, wenn einem alle paar Augenblicke das Herz aufgeht - so richtig weit?

Aber - ach! Was soll ich hier eigentlich bloß beschreiben? Ein Bild sagt ja bekanntlich mehr, als 1000 Worte, also: Vielleicht kommt die ganze Faszination dieser Region viel besser rüber, wenn man sich einfach meine externe Bilderserie mit 93 anderen, großformatigen Bildern (entsprechend also 93000 Worten?) von beiden Radtouren anschaut.

Und doch versuche ich gar nicht, hier alles bis zum Letzten auszukosten - und verlasse die Inseln nach gerade mal eineinhalb Stunden Aufenthalt - in aller Ruhe. Mit großem Seelenfrieden. Wie kommt das? Ich versuche kurz, es mir selber zu erklären...

Traumstrand auf Sommaröy

Er ist ja wirklich nicht gerade überbevölkert, dieser absolute Traumstrand auf Sommarøy. Aber: Auf dem kleinen Bild etwas schwer zu erkennen ist, dass da hinten noch ein Pärchen sonnenbadet. Aber gut - man findet hier noch sein privates Fleckchen. Und: Später badeten auch noch Leute im Wasser des Nordatlantiks.

Und verrate hier, an dieser Stelle, mal ein Geheimnis. Denn: Ich bin ein völlig aus der heutigen Zeit gefallener Mensch! Ich passe gar nicht mehr in die heutige Zeit - kein hip, kein hop, kein zappelap. Nein, das ist alles nichts für mich - ich bin ein hoffnungslos verlorener Träumer. Filme können mir kaum verträumt und romantisch genug sein (Hallo, fabelhafte Amélie!), jegliche Geschichten, die mich zum träumen verführen sind gute Geschichten! Noch immer gibt es bei mir viele Tagträume, so, wie früher als Teenie. Musik muss bei mir verträumte oder besser noch traumhafte Melodien haben.

Oder: Jeder Sonnenuntergang ist meiner - einfach ein wenig zum träumen. Gerade vier Tage ist es her, als mich in Bodø ein fantastischer Sonnenuntergang nach einer langen, langen Wanderung am Tage noch einmal auf die Beine lockte. Zeitgemäß ist so etwas offenkundig nicht: Ich war weit und breit der einzige Mensch auf dem hunderte Meter langen Hafenkai der 50.000 Einwohner-Stadt Bodø, der sich von dem spektakulär leuchtend roten Himmel faszinieren und zum Träumen verleiten ließ...

Oder: Weihnachtsbeleuchtung in Funchal! Mit großen Augen verträumt wie ein Kind laufe ich dort Abend für Abend durch das magische Licht.

Aber, Moment mal - Pardon, ich träume gerade schon wieder und schweife total ab. Also schnell zurück nach Sommarøy...

Also: Aus der Zeit gefallen, ja! Zeitgemäßes Profitdenken oder heutige Coolness sind mir mein ganzes Leben lang fremd und suspekt geblieben. Viel lieber verträume ich schlicht die Zeit, manchmal verträume ich wohl ein Stück Leben, vielleicht manchmal auch ein Stück vom Glück.

Aber hier - hier bin ich plötzlich genau richtig. Es gibt auf der Welt nicht mehr so viele Orte für Träumer wie mich - und es werden wohl immer weniger. Manchmal habe ich Orte gefunden, wo ich träumen könnte, und habe so etwas immer für mich gesucht. Und hier, genau hier, ein paar hundert Kilometer nördlich des Polarkreises, habe ich meinen Ort gefunden! Es fühlt sich hier für mich wie Zuhause an. Total Zuhause. Denn hier auf diesen Inseln sind Träumereien zuhause, hier wohnen sie. Hier bin ich richtig, genau richtig! Eine Traumwelt... Ein Stück vom Paradies! Hier gibt es ihn, den Stoff, aus dem meine Träume sind!

Wie sonderbar: Plötzlich angekommen, richtig angekommen. Es schleicht sich das Gefühl ein, dass ich mich in dieser bisher für mich eher fremden Mischung aus extrem rauer Umgebung und verspielt-traumhaftem Strandleben wie heimisch fühle.

Eigentlich kein Platz für donnernde Quad-Fahrer, hier...

Und warum ich mit solcher Seelenruhe und glückselig so schnell Sommarøy und Hillesøya verlasse? Ganz einfach: Sehr schnell habe ich kapiert, dass ich hier eine ganz neue Gewissheit gewonnen habe. Es gibt ihn auf dieser Erde, den Ort, der perfekt für mich ist. Wow - es gibt ihn wirklich, diesen Ort! Unglaublich! Und Zeit spielt da gar keine Rolle.

Jaja, klingt vielleicht ein klein wenig kitschig. Macht nix - ich schwärme hier gerne. Und das völlig zu Recht! Denn genau so ist es!

 

DIE RÜCKFAHRT NACH TROMSØ

Und dann geht es zurück. 65 km stehen ja an. Wenn ich daheim mit meinem Rennrad unterwegs bin (in diesem Jahr allerdings ja nur sehr, sehr wenig), dann gilt bei mir das Prinzip, das ich irgendwo mal aufgeschnappt habe: "100 geht immer!". Soll sagen: 100 km sind letztlich immer möglich auf einer Tour! Also, wirklich: IMMER! Völlig egal, wieviel man schon gefahren ist: Für lächerliche 100 km sollte es einfach IMMER reichen! Was sind da schon diese läppischen 65 km bis Tromsø?? Also, keine Panik - und los jetzt.

Brücke in Sommaröy

Auf dem Weg zurück muss ich erstmal wieder über die Sommarøy-Brücke - einen anderen Weg gibt es nicht.

 

 

 

Noch bis nach der Brücke überlege ich, wie ich nun weiter fahre... Entscheide mich aber doch erst direkt an der Abzweigung, nicht die unbekannte Strecke zu nehmen, sondern bis nach Tromsø hinein die exakt identische Route, wie auf dem Hinweg, zu fahren.

Da brauche ich hier also nicht genauer zu beschreiben, wie die Tour so ist. Ein paar Unterschiede zum Hinweg gibt es aber doch. Z.B. ist die Fahrt über die Brücke "Sommarøybrua" diesmal völlig unkritisch. Kein "Spät-Pubertist" mit vier Rädern gefährdet mich und ich habe die Ruhe, bei der Auffahrt noch ein paar Fotos zu machen.

Durchfahrt durch Felsen

Kurz vor dem Tunnel gibt es ein paar Durchfahrten durch den Fels - mit Ausblick auf noch mehr Felsen.

 

 

 

Ähnlich beim Tunnel. Diesmal weiß ich ja schon, was mich erwartet. Also: Knopf drücken, dass sich im Tunnel ein Fahrradfahrer befindet, und zusehen, dass man da durch kommt. Mit ziemlichem Schwung fahre ich zunächst in der leichten Kurve schon wieder fast gegen die Seitenwand - weil ich sie kaum gesehen habe. Das eine oder andere "Tunnelfoto" wird noch geschossen - und dann sehe ich zu, dass ich da durch komme. Kein Auto diesmal mit mir im Tunnel, kein irres Getöse. Alles völlig problemlos. Diesmal bin ich in genau 79 Sekunden durch den Tunnel durch - sehe ich später auf meinem GPS-Log. Und doch: Es ist ein absoluter Wahnsinn, hier ohne Licht am Fahrrad und ohne Warnweste durchzufahren! Auf Tunneldurchfahrten sollte man bei Touren in Norwegen immer eingestellt sein. Warum, um alles in der Welt, ist es in Norwegen keine Vorschrift, Licht am Fahrrad zu haben?

Der Weg am Fjord entlang ist schön, wie zuvor. In einigen Bereichen fahren ich durch verblüffend dunklen Schatten - es geht gegen 16 Uhr und die Sonne ist ein wenig tiefer gerutscht. Auf der anderen Seite ist das Licht jetzt insgesamt viel schöner, als auf der Hinfahrt - und weitaus besser zum fotografieren. Viele der Bilder hier auf der Seite stammen also von der Rückfahrt. Insgesamt sind bei den Fotos Hin- und Rückfahrt bunt gemischt, aber immer dem korrekten Ort zugeordnet.

Der Nordfjorden hält noch eine kleine unangenehme Überraschung für mich bereit. Auf der Hinfahrt hatte ich mich hier ja ein paar Kilometer gegen einen plötzlich auftretenden schneidenden Wind voranzukämpfen. Meine Hoffnung, diesen Wind jetzt von hinten zu haben, platzt jedoch. Wieder kommt ein deutlich spürbarer Wind von vorne - warum auch immer. Ich nenne das mal "Fjordwind". Ansonsten ist es auf der gesamten Tour eher schwach windig. Langsam spüre ich auch meine Beine.

 

 

 

Die Auffahrt auf die magische, polare Hochebene fällt von dieser Seite aus wesentlich leichter, die Steigung ist insgesamt deutlich flacher. Oder sagen wir es mal so: Die steilen Abschnitte sind erheblich kürzer. Gut so! Es geht langsam gegen fünf Uhr abends und ich spüre mittlerweise deutlich konditionelle Schwächen und mein Hintern fängt an, weh zu tun. Außerdem fällt mir auf: Es ist hier deutlich mehr Autoverkehr unterwegs, als vorhin. Und gerade die großen LKW machen einen fast infernalischen Lärm auf diesem groben Asphalt. Wie absurd: In dieser Idylle bin ich genervt von dem Lärm. Üblicherweise wird sich hier niemand groß an dem Lärm stören. Es gibt ja nur eine Handvoll Häuser, die sicher nicht als ständige Wohnsitze dienen. Und ansonsten sind hier Autofahrer. Und die paar Wanderer und einzelnen Radfahrer - tja... Und der grobe Asphalt hat sicherlich seinen Sinn im Winter, wenn der Schnee geräumt wird.

Irgendwo in dieser bizarren Umgebung zeigt das mit dem Fahrrad geliehene Tacho 100,0 km an. Mit einem Schnitt von 19,1 km/h an. Immerhin!

Die steile Abfahrt von dieser Hochebene ist dann ein ziemliches Spektakel. Auf dem Hinweg habe ich mich hier ja ziemlich hinaufgequält - jetzt wäre es ein Leichtes, mit 50, 60, vielleicht 70 Sachen hier hinunter zu rauschen. Nur: Wie eingangs erwähnt, habe ich ja meine Sportbrille vergessen und mit meinen Augen muss ich einfach überdurchschnittlich vorsichtig sein. Also greife ich andauern kräftig in die Bremsen und versuche, die Abfahrts-Geschwindigkeit auf maximal 40 km/h zu begrenzen. Immerhin sind die Scheibenbremsen an dem Leihfahrrad auch griffig und gut eingestellt. Aber das Maximum auf 40 km/h zu halten, klappt nicht ganz die gesamte Zeit - und als ich unten an der Hauptstraße mit der Abzweigung ankomme, fühlen sich meine Augen an, als wäre gerade jemand mal mit einer Bürste drübergegangen...

Blumen am Kaldfjord

Wieder "unten" von der kargen Hochebene: Blühende Blumen am Kaldfjord.

 

 

 

Und prompt fälle ich an der Stelle, auch in Anbetracht meines schmerzenden Hinterns, die große, große Fehlentscheidung und biege nach rechts ab in Richtung Kaldfjord/ Tromsø. Man sollte an dieser Stelle jedoch auf jeden Fall nach links abbiegen und die zwei bis drei Kilometer nach Ersfjordbotn fahren! Ein, wie ich erst später auf Fotos im Internet sehe, wunderschön gelegener Ort an einem schnurgeraden Fjord, der links und rechts von steilen, rund 1000 m hohen Bergen gerahmt wird. Diese läppischen paar Kilometer sollte man im Zweifel auch lieber zu Fuß auf sich nehmen, als darauf zu verzichten. Ich habe mich jedenfalls im Nachhinein sehr geärgert, dass ich das nicht gemacht habe - obwohl mir der Fahrradverleiher mir auch gerade diesen Ort als besonders schön empfohlen hatte...

Tromsö steile Auffahrt

Nee, danke - so will ich jetzt nicht 130 Höhenmeter raufradeln, um zum Hotel zu kommen! Da fahre ich lieber nochmal den halben Bogen um die Insel.

 

 

 

So aber fahre ich einfach weiter - in Richtung Tromsø. Das Radeln fällt mir zunehmend schwerer, die große Freude am Radfahren selber ist vorbei. So langsam will ich nur noch "nach Hause", fast wie in Trance kurbele ich vor mich hin am Fjord entlang in Richtung Tromsø. Als gegen 18 Uhr die Brücke über den Sandnes-Sund zur Hauptinsel von Tromsø vor mir auftaucht, bin ich erleichtert. Nachdem ich die Brücke etwas mühsam überquert habe, belasse ich es aber bei dem Versuch, die Insel auf kurzen Wege zu überqueren: Die Anstiege sind mir viel, viel zu steil! Da sollte man nicht gerade schon 120 km in den Knochen haben, um das auf sich zu nehmen.

 

 

 

Also fahre ich noch einmal, wie schon heute Morgen auf dem Hinweg, auf zumeist flacher Strecke halb um die Insel, um zurück in Richtung Hotel zu kommen. Kurz hinter dem Stadtteil "Sorgenfri" (was für ein schöner Name eines Stadtteils! Auch in Malmö und Trondheim sind mir in den letzten Tagen schon Stadtteile mit diesen Namen aufgefallen) gerate ich kurz vor der Südspitze der Insel an einen schönen Badestrand - höchste Zeit, nochmal eine Pause zu machen. Ich bin hier am "Telegrafbukta Beach" gelandet. Es badet hier zwar niemand, aber viele Einheimische genießen den wunderbaren, sonnigen Abend an diesem Flecken. Ein schöner Ort für den Feierabend. Und für mich für eine Rast. Ein wundervoller Abschluss meiner Tour heute! Toll!

Gemütlich rolle ich dann die letzten Kilometer zu meinem Hotel in "downtown" Tromsø. Vorsicht ist da durchaus geboten - der Autoverkehr in Tromsø ist nicht ohne. Es geht mit den Autos zügiger, ruppiger zu, als in anderen norwegischen Städten.

Als ich um 19:15 Uhr dann direkt nach der Ankunft erstmal auf mein Hotelbett plumpse, denke ich mir, es würde für heute reichen. Immerhin zeigt das Tacho 131,1 km Wegstrecke, bei einer reinen Fahrzeit von 6 Stunden 54 Minuten macht das eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 19,0 km/h. Die maximale Geschwindigkeit von 46,9 km/h ließ sich auf der Abfahrt von der Hochebene nicht wirklich vermeiden. Mein zusätzliches GPS-Gerät hat zudem immerhin 1094 Höhenmeter Aufstieg auf der Fahrt gemessen.

Aber so ganz reicht es mir dann heute doch noch nicht: Als ich eigentlich im Supermarkt nur etwas zu Essen kaufen will, ist das Abendlicht am wolkenlosen Himmel in Tromsø schon wieder so magisch schön, dass ich noch rund zwei Stunden kreuz und quer durch Tromsø laufe. Beinahe rastlos fotografiere ich immer weiter - nicht mehr im Spielzeugkamera-Modus. Und als es abends um elf noch immer nicht so richtig dunkel ist, ist der Tag dann für mich dann doch langsam gelaufen. Die Eindrücke aus Tromsø gibt es in einem gesonderten Reisebericht über die Stadt - irgendwann später.

 

Den Bericht zu dem zweiten Radtouren-Tag bei sommerlichen Bedingungen von Tromsø aus am Kvalsund entlang bis zum Dorf Kvaløyvågen finden Sie ohne allzu viel Text in einer erweiterten Bilderserie hier.

 

Und zu der externen Bilderserie mit 93 anderen, großformatigen Bildern von beiden Radtouren um Tromsø herum, geht es hier.

 

 

 

 

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Dirk Matzen

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