Reisebericht Kraków (Krakau) -
  Frühlingsbeginn in der prachtvollen, alten
  polnischen Königsstadt

Reisebericht über eine Reise nach Kraków (Krakau) in Polen im April 2016
   mit insgesamt 50 Bildern




Krakau, Regenbogen über Wawel

Finstere Wolken über der früheren polnischen Königsresidenz, dem Wawel in Kraków (Krakau): Ist die alte polnische Königsstadt eigentlich eine Reise wert?

 

 

Und das mag ich an Polen...

Ganz plötzlich ist mir alles klar!

Schlagartig wird mir völlig klar, warum ich immer wieder so gerne in Polen bin.

Schon einige Male bin ich nach Polen gereist, seit ich im Rahmen meines Studiums im Jahr 1987 zwei Monate in Poznań (Posen) verbrachte. Und immer bin ich gerne nach Polen gereist.

Und immer wieder ruft dies bei Freunden, Bekannten und Kollegen Verblüffung hervor. Polen? Wieso denn Polen - ausgerechnet Polen? Dort wird doch sowieso nur geklaut, oder? Ob mir da denn nichts Besseres für meine Reise einfallen würde? Es gäbe doch so viele schöne Länder - niemand kann und will verstehen, dass es mich immer wieder nach Polen zieht.

Und sogar ich selber habe immer wieder Schwierigkeiten, dies anderen Leuten genauer zu erklären. Ich erzähle dann immer etwas davon, dass ich mich einfach wohl fühle in Polen, ein wenig wie Zuhause, dass dort eine für mich inzwischen ungewohnt entspannte Atmosphäre herrscht, dass ich in Polen eine herzliche, fast ausufernde Gastfreundschaft erlebt habe, die mich tief beeindruckt hat und die ich so nie wieder irgendwo anders erlebt habe (was mittlerweile allerdings auch 30 Jahre her ist). Und dass ich seitdem dieses Land einfach mag. Ich erzähle immer allen davon, dass es ein vergleichsweise günstiges Reiseland ist, in vielerlei Hinsicht mit unübertroffenem Preis-/Leistungsverhältnis. Aber so richtig greifen kann ich lange Zeit auch nicht, was es eigentlich ist, das mich in Polen immer wieder so einfängt.

Das ist gerade jetzt eben anders geworden. Gerade ist mir einiges klar geworden, binnen Sekunden. Und das, wie es oft so ist, durch Kleinigkeiten - ja, durch Winzigkeiten. Ein paar winzig kleine Beobachtungen haben mir vor Augen gehalten, was den Charme in Polen für mich ausmachen kann. Und tatsächlich oft auch ausmacht. Um das zu erläutern, hole ich hier ein wenig aus.

Es sind die allerersten Tage im April 2016, ich werde insgesamt zwei Wochen in Polen unterwegs sein und freue mich sehr darauf. Hauptbestandteil dieser Reise wird ein einwöchiger Aufenthalt in Wrocław, auf deutsch Breslau, sein, wo ich einen Bildungsurlaub machen werde. Aber ich habe schon eine Woche früher Urlaub genommen, und bin jetzt erstmal nach Kraków (Krakau) gereist. Und hier in Kraków bin ich jetzt den zweiten Tag.

Eigentlich hat heute alles damit angefangen, dass ich mich am Nachmittag verlaufen habe. Ursprünglich will ich zu der früheren Emaille-Fabrik von Oskar Schindler - also zu dem Museum, das man auf dem Gelände seiner früheren Fabrik eingerichtet hat. Seit dem Spielberg-Film "Schindlers Liste" sind die Vorgänge um diesen Großindustriellen während der Nazizeit ja weltbekannt geworden. Grund genug, das Gelände mal zu besuchen - denke ich mir. Werfe einen Blick auf den Stadtplan, weiß dann grob, wohin ich gehen muss und denke mir, dass ich das Museum dann vor Ort schon finden werde. Wird schon klappen! Ich mag es nicht gerne, mit einem Stadtplan vor der Nase durch Städte zu laufen. Also schaue ich mir zumeist die grobe Richtung an - und laufe los, ganz meiner Nase nach. Meist klappt das prima. Und es trainiert das Orientierungsvermögen.

 

Frühlingsausbruch - auf dem Kopiec Krakusa

 

 

 

Aber jetzt, hier in Kraków, geht das schief. Na gut - kommt ja immer wieder mal vor. Macht aber auch nix - ich bin ja in Urlaub und werde nicht verloren gehen. Zwar lande ich im Stadtteil Podgórze, aber es gelingt mir nicht so recht, mich hier zu orientieren. Die Zeit ist heute bereits etwas vorangeschritten, es ist schon nach 15 Uhr - am Vormittag habe ich mich im Stadtzentrum herumgetrieben. Ein wenig irre ich umher, werde immer zielloser. Halte mich eine ganze Weile auf dem "Platz der Ghetto-Helden" auf - der selber auch ein Denkmal ist: Der große Platz bildet das Zentrum des Ghettos in der Nazizeit, hier wurden die Menschen zusammengetrieben, um dann in den KZs systematisch ermordet zu werden. Der Platz steht als Denkmal heute voller übergroßer, symbolhaft leerer Stühle. Mich rühren solche Orte mit derart entsetzlicher Vergangenheit immer noch sehr an. Manchmal wird es mir fast schon zuviel und ich kann es kaum noch ertragen, dass ich an allen Ecken und Enden Europas an Orte komme, die an die Grausamkeiten der Deutschen erinnern. Manchmal ist es mir einfach zuviel Entsetzen - aber mir ist ja auch klar: In Polen kann es nie ausbleiben, mit dieser Vergangenheit konfrontiert zu werden.

Nachdem ich eine Zeitlang auf diesem bedeutungsschweren Ort verweilt habe, laufe ich noch ein wenig durch das Viertel - und sehe zufällig nach einiger Zeit einen markanten, kleinen, aber auffälligen Hügel in einiger Entfernung. Einen ganz ähnlichen Hügel habe ich gestern bereits bei meiner Anfahrt vom Flughafen in das Stadtzentrum am anderen Ende von Kraków auch schon wahrgenommen. Und ich beschließe: Das sieht besonders aus, da gehst Du jetzt einfach mal hin! Schindlers Fabrik, schön und gut, die ist morgen auch noch da - aber jetzt willst du zu diesem merkwürdigen, markanten Hügel.

Nach einigem Fußmarsch habe ich den Hügel erreicht - lese mal kurz in meinem Büchlein nach: Ich bin hier an und auf dem "Kopiec Krakusa". Einer der historischen Hügel, von denen es in Krakau vier Stück gibt, die künstlich angelegt worden sind, sie stammen wohl aus dem 6. Jahrhundert und gehören damit zu den ältesten Nachweise der Besiedlung der Region. Der ursprüngliche Sinn und Zweck ist bis heute nicht eindeutig klar ist. Potzblitz! Das ist ja was.

Krakau, Weg zum Kopiec Krakusa

Der Weg zum "Kopiec Krakusa" wirkt nicht gerade einladend - aber er lohnt sich. Besonders an einem schönen Frühlingstag, wie diesem.

Der Weg hierhin ist alles andere, als schön. Aber, mama mia: An Ort und Stellen, direkt am Hügel, ist es sehr schön! Bardzo miło! Viel schöner, als vermutet! Es ist ein Frühlingstag wie aus dem Bilderbuch, schöner kann er kaum sein. Praller Sonnenschein, angenehme Temperaturen - wie eine Erlösung nach einem langen Winter. Für viele wohl die erste Gelegenheit, nur im T-Shirt unterwegs zu sein, andere ziehen es doch noch vor, mit einer festen Jacke bekleidet unterwegs zu sein. Einer dieser Tage, die wunderbar sind, aber denen man nicht so recht traut: Ist es wirklich schon warm genug für leichte Bekleidung? Haben wir jetzt wirklich Frühling, so richtig?

 

 

 

Dazu gibt es hier einen Ausblick, der beeindruckender kaum sein könnte: Die gesamte Stadt liegt einem zu Füßen. Man hat einen großartigen Blick auf den Wawel, die vielen Kirchen und Türme der Stadt - das historische Kraków ist eine traumhaft schöne Stadt!

Was für ein phantastischer Ort ist das hier! denke nicht nur ich, sondern offenkundig auch viele Einheimische, ein paar hundert treiben sich an diesem schönen Nachmittag hier herum. Vielleicht 200, vielleicht 300. Junge Familien mit Kindern, ganze Großfamilien, Freundes-Gruppen, ein paar wenige Einzelgänger wie ich. Der absolute Star des ganzen Ensembles ist ein üppig blühender schneeweißer Baum.

Krakau, Kopiec Krakusa

Ein Ort von Schönheit und Ruhe direkt am Rande des Stadtzentrums von Kraków (Krakau): Der charakteristische, runde Gipfel des "Kopiec Krakusa".

Und ohne es recht wahrzunehmen, sauge ich diesen tollen Ort in mich auf. Gehe mal ganz hinauf auf den insgesamt 269 m hohen, runden Gipfel des "Kopiec Krakusa", stehe dort mit zwei Dutzend anderen Leuten und lasse den Blick ausgiebig über die Stadt schweifen. Erkunde das Gelände eine Weile lang, schaue mal in die riesige, tiefe Grube des ehemaligen Steinbruchs direkt neben dem Hügel - auch ein Ort der deutschen Schande. Während des Zweiten Weltkriegs mussten hier Sklaven unter deutscher Aufsicht schuften. Und große Teile des Spielberg-Films "Schindlers Liste" wurden genau hier gedreht - nämlich die entsetzlichen Teile, die im Lager Płaszów spielen (dessen tatsächlichen Überreste auch nur einen guten Fußmarsch entfernt sind).

Beim Blick in die Runde habe ich das Gefühl, der einzige neugierige Tourist unter Einheimischen weit und breit zu sein - aber wer weiß das schon so ganz genau... Jedenfalls höre ich hier nur polnische Wortfetzen, keine andere Sprache. Für Kraków ist das schon ungewöhnlich.

Krakau, Steinbruch neben Hügel

Blick hinab in die ausgedehnte Kuhle des früheren "Liban & Ehrenpreis Steinbruchs" direkt neben dem "Kopiec Krakusa". Ein obskurer Ort.

Nach einiger Zeit mache ich es mir irgendwo auf einer der locker in der Gegend verstreuten Steinbänke gemütlich und fühle mich an diesem Wohlfühl-Ort einfach nur wohl, füttere ausgiebig den Träumer in mir. Trotz vieler Menschen hier: Alles hier ist gut. Ein magischer Ort, fürwahr!

Nach einer erstaunlich langen Zeit passiert eine Winzigkeit, die mich aus meinen Träumereien reißt. Ein Kichern holt mich zurück in diese Welt, vielleicht 30 Meter von mir entfernt, schräg vor mir. Fünf junge Frauen um die 20 sind es, und sie kichern etwas verschämt, aber sehr fröhlich. Nun ist es so, dass ich spätestens seit meiner Pubertät eher allergisch auf kichernde Mädchen und Frauen reagiere. Kichern hat eigentlich etwas Aufdringliches, soll alle Blicke auf sich reißen. Aber dieses Kichern hier, das ist irgendwie anders... Die fünf Mädels versuchen Fotos zu machen. Vor der Silhouette der Stadt machen sie Fotos bei denen vier von ihnen in die Luft springen, möglichst hoch, und die fünfte versucht, sie dann "im Flug" zu fotografieren. Das ist gar nicht so einfach! Sie beschäftigen sich völlig mit sich selber, amüsieren sich über sich selber und haben dabei so viel Spaß, dass sie immer wieder in ein fröhliches Lachen und Kichern verfallen.

Und irgendwie stutze ich genau darüber. Meine Gedanken melden sich zurück. So ein fröhliches unaufdringliches Mädchen-Gekicher und -Lachen - das kenne ich ja kaum noch. Wie sonderbar! Wann habe ich denn das überhaupt zum letzten Mal gehört? Ich weiß es gar nicht recht... Ist es nicht sehr komisch, dass es mir auffällt, wenn irgendwo einfach nur gelacht wird - frei, fröhlich und völlig unbeschwert?

Und prompt und ganz von allein ergibt gerade ein Gedanke den anderen: Moment mal - wenn die Mädels da vorne jetzt daheim in Hamburg, in Deutschland wären, dann würden die nicht nur fröhlich kichern! Dann würden sie KREISCHEN vor Freude, schrill und laut - aufdringlich. Und keifen. Mit dem Signal: Nehmt uns bitte alle, alle wahr! Dann würden sie SO einen Spaß haben, dass alle, alle, alle es auch auf jeden Fall mitbekommen würden. Mitbekommen und toll finden müssen!

Und überhaupt! Wäre dieser wunderschöne Ort, dieser Hügel mit diesem fantastischen Wetter jetzt gerade irgendwo in Deutschland, dann - oh ja, dann sähe es jetzt hier anders aus! Und es wäre eine ganz, ganz andere Stimmung! Dann würde hier jetzt aus irgendwelchen Anlagen Musik dröhnen, und seien sie nur batteriebetrieben - vielleicht auch aus zwei, drei, vier oder fünf Musikanlagen. Dann würde an allen Ecken und Enden gefeiert und gesoffen werden, dass die Schwarte kracht. Man hätte so richtig - also RICHTIG Spaß! Alles wäre vollgequalmt, gesundheitsgefährdend vollgequalmt: Denn bei nahezu jedem Grüppchen würde gegrillt werden, der Hügel wäre eingenebelt. Auch von den vielen Leuten, die kiffen müssen, um es hier erst so richtig genießen zu können. Es würden zwei, drei, vier Verkaufsbuden hier stehen, um die Anwesenden mit allem zu versorgen, damit es ihnen auch erst richtig gut geht: Wurst, Pommes, Bier, Wein, Kaffee - Fressen und Saufen. Es würden Müllhalden vom Saufen und Grillen und überhaupt wild herumliegen - in der allgemeinen Erwartung, dass diese von nächtlichen, schlecht bezahlten Heinzelmännchen entfernt werden, schließlich zahlt man ja seine Steuern. Kinder würden hier herumtoben, oft etwas überdreht, Eltern würden keifend nach ihnen rufen, mit dem Coffee to go in der Hand. In dem weiß blühenden Baum würden Leute herumkraxeln, für die spektakulärsten Selfies. Viele würden sich inszenieren. Vieles wäre maßlos übertrieben. Und vieles von dem Spektakel, das daheim in einer solchen Szenerie ablaufen würde, wäre für mich bis zur Übergriffigkeit aufdringlich. So ist es jedenfalls im heimatlichen Hamburg an eigentlich besonders schönen Plätzen, wenn der Frühling sich erstmals blicken lässt.

Sie ahnen es - von all dem sehe ich hier: Nichts! In der Tat überhaupt nichts! Niemand grillt. Niemand säuft (es ist in Polen verboten, Alkohol unter freiem Himmel außerhalb von von Gaststätten zu trinken). Niemand kifft. Niemand grölt. Kein Müll, nirgends, außer am Mülleimer. Ab und zu hört man Kinderrufe und die Eltern antworten - ohne Gekeife. Ansonsten herrscht einfach eine fröhliche, freundliche, gelassene und völlig entspannte Stimmung. Man plaudert - mal zurückhaltend, mal angeregt.

Und ganz genau das ist es, was mir so gefällt! Hier ist es schön - und Schönes ist einfach schön, darf schön sein und schön bleiben. Und alle genießen es. Schönes muss nicht noch übersteigert werden, es muss nichts Tolles "gemacht" werden - hier ist und bleibt es einfach schön. Man stört sich gegenseitig nicht weiter und beeinflusst sich auch nicht. Mit einer gewissen, ja.... "Erhabenheit" wird die Schönheit dieses Ortes und Moments hier genau so genossen, wie sie ist.

Alles Schöne ist hier schön, alles Normale ist hier einfach noch normal. Und das gilt nicht nur hier im Moment - und genau das finde ich so angenehm. Eine friedliche Atmosphäre, die mich sehr schnell vollkommen und zunächst unbewusst eingefangen hat.

Mir gefällt dieses Verhalten, diese Umgehensweise sehr! Und ich empfinde sie als typisch für Polen. Ich kenne sie aus Polen von verschiedensten Erlebnissen der letzten fast 30 Jahre - und sie entspricht auch mir persönlich sehr. Diese freundliche Gelassenheit. Diese gelassene Freundlichkeit. Sie macht nicht nur Kraków aus, sondern allgemein auch Polen.

Das bedeutet nun allerdings keinesfalls, dass man hier nicht temperamentvoll ist! Es geht oft ziemlich lebhaft zu. Aber dieser oft in der Öffentlichkeit vorhandene latent forsche, fordernde, extrovertierte Unterton, den ich daheim oft erlebe - er fehlt hier zumeist. Und für mich macht das ganz viel aus von dem Charme, den Polen für mich hat. Aber um das alles wirklich wahrzunehmen, muss man seine Nase schon ziemlich viel und intensiv in dieses Land hinein halten. Und seine Antennen weit ausfahren.

Höre ich da etwa so etwas, wie Ihr Kopfschütteln? Okay, okay - das alles ist zugegebenermaßen hier wie dort nicht immer und überall so. Hier wie dort weicht es auch immer mal wieder ab - aber für mich sind das Ausnahmen von der Regel. Die Tendenz ist für mich ganz klar. Und plötzlich und endlich kann ich sie hier, ab heute in Kraków, ganz klar benennen und greifen!

Als ich nach zwei Stunden Aufenthalt langsam und fast ein wenig widerwillig wieder gen Stadtzentrum aufbreche, bin ich absolut tiefenentspannt. Und habe plötzlich mit Händen greifen können, was es denn eigentlich ist, das ich an Polen immer wieder so sehr mag. Ich mag es einfach, wenn Normales normal ist.

Wollte ich eigentlich wirklich zu Schindlers Fabrik? Oder habe ich nicht wirklich genau so einen Moment wie auf dem "Kopiec Krakusa" gesucht? Wie auch immer - die Fabrik von Oskar Schindler habe ich bei diesem gesamten Aufenthalt nicht besichtigt, es wird sie auch noch geben, wenn ich vielleicht noch einmal nach Krakau zurückkehren sollte.

 

Touristenströme in Kraków (Krakau)

Denn eigentlich ist auch dies eine Rückkehr. 1987 war ich schon einmal für drei oder vier Tage in Kraków, in einer kleinen, selbstorganisierten Studentengruppe mit zehn Leuten aus sechs verschiedenen (west-)europäischen Ländern. Krakau war damals das unbestrittene Zentrum, das Herz des Landes. Alle Polen liebten Kraków und verachteten die Hauptstadt Warszawa, damals zumindest. Ob sich dies verändert hat, weiß ich nicht wirklich - ich glaube aber schon ein wenig. Auf jeden Fall aber hat die Stadt Kraków ihre eigene Magie erhalten. Zu einem erheblichen Teil sicherlich auch ziemlich aufgeschickt.

Schon 1987 fiel deutlich auf, dass in Kraków wesentlich mehr Touristen unterwegs waren, als in anderen Städten Polens (auf der kleinen Rundreise besuchten wir damals außerdem noch Warszawa (Warschau) und Gdańsk (Danzig)). Damals war Polen noch ein sozialistischer Staat und für die meisten Menschen nur sehr mühsam zu bereisen - ohne ein mit viel Aufwand zu beschaffendes Visum kam man aus fast keinem Staat der Welt nach Polen hinein. Das ist heute anders geworden - glücklicherweise. Und die Touristenströme haben weltweit sowieso enorm zugenommen, deutlich spürbar auch in Kraków.

Immerhin ist die Innenstadt von Kraków in weiten Teilen noch original erhalten. Im Zweiten Weltkrieg entging die Stadt dem tragischen Schicksal von beinahe allen polnischen Städten: Die totale Zerstörung fast aller größeren, bedeutenden polnischen Städte ging an Kraków vorbei, zum größten Teil blieb die historische Bausubstanz erhalten. Seit dem 13. Jahrhundert hat Kraków keine wesentlichen Zerstörungen mehr hinnehmen müssen. Dementsprechend ist die Innenstadt des alten polnischen Königssitzes eine wunderschöne Perle, mit diversen Architektur-Stilen verschiedener Epochen.

Krakau, Touristen in der Altstadt

Fix was los, Anfang April am Abend im Stadtzentrum von Kraków: Es sind schon viele Touristen unterwegs.

Und es ist beliebt, nach Kraków zu reisen. Selbst Freunde von mir, die kaum Interesse daran haben, Polen kennen zu lernen, reisen auch mal nach Kraków - die Stadt soll ja schließlich so schön sein. Stimmt, ist sie ja! Darum ist es heutzutage gar nicht so einfach, in Kraków etwas Außergewöhnliches, Schönes zu finden, das nicht von Touristenströmen überflutet wird.

Es ist Anfang April, als ich hier in Kraków bin - und ich staune darüber, wie enorm viele Touristen sich hier schon jetzt durch die Stadt laufen. Die Innenstadt, also die Altstadt, scheint vornehmlich den Touristen zu gehören. Kein Wunder!

 

Eines der allerersten Weltkulturerben der UNESCO: Die Altstadt von Kraków (Krakau) mit dem Wawel

Im Jahre 1978 zeichnete die UNESCO zum ersten Mal überhaupt einige Orte auf der Erde (genau 12 Stück) als "Weltkulturerbe" aus - und die Altstadt von Kraków mit dem früheren Königsschloss Wawel gehörte dazu. Es ist historischer Grund und Boden - und in Polen ist man stolz auf seine Vergangenheit und ein jahrhundertelanges Ringen um die Unanhängigkeit des eigenen Staates.

Heute ist die Stadt im Süden Polens eine Metropole mit 760.000 Einwohnern - darunter allein 200.000 Studierende. Allein die historische Jagiellonen-Universität, gegründet 1364 als zweite Universität in Mitteleuropa, hat fast 50.000 Studierende. Nach der Wende hat sich Kraków recht schnell einen Ruf als Hightech-Standort erarbeitet.

Über Jahrhunderte war Kraków die polnische Königs- und Hauptstadt, die Herrscher der damaligen Zeit lebten im Wawel, dem früheren Königsschloss. Hat man sich die Mühe gemacht, auf den Hügel zum Wawel hinauf zu gehen, so ist man mitten im offenen Herz der Geschichte Polens angekommen. Das Zentrum des historischen Polen, hier ist es greifbar.

Diese kleine Mühe habe ich mir an diesem Sonntagmorgen gemacht. Mein Hotel liegt direkt nebenan, kurz nach neun Uhr bin ich im Wawel - und das Residenz-Schloss, Burg, Kathedrale gehören beinahe mir allein. Fast bin ich überrascht: Keine Touristen weit und breit, trotz des strahlenden, aber noch kühlen Tages. Ich habe Ruhe und Muße, alles an diesem früher mal bedeutungsvollen, heute entmachteten Ort zu betrachten. Nicht entgehen lassen sollte man sich dabei die vielen schönen Ausblicke über die Innenstadt.

Krakau, Wawel Kathedrale

Sonntagmorgens auf dem Wawel: Man kann sich in Ruhe das eindrucksvolle Ensemble anschauen. Hier geht der Blick vor allem zur Kathedrale.

Eine Stunde später ist es schon etwas anders auf dem Wawel, es sind mittlerweile wesentlich mehr Neugierige unterwegs. Aber es ist weit entfernt davon, eng oder gar überfüllt zu werden.

Das ist in der Altstadt dann schon etwas anders. Rund um den "Rynek Główny", den "Hauptmarkt", brummt am Sonntag um halb elf Uhr schon das Touristen-Geschäft. Und, ich finde: Das ist ja auch okay so. Rund um den Markt gibt es ein schönes Ensemble an gepflegten, schön restaurierten Bürgerhäusern, es gibt viele Gaststätten. Die Tuchhallen in der Mitte des Marktes sind nicht nur ein schönes Gebäude, sie locken viele auch mit Souvenirangeboten und Cafés auf der Empore. Eindrucksvoll die gewaltige Kirche mit dem komplizierten polnischen Namen "Kościół archiprezbiterialny Wniebowzięcia Najświętszej Marii Panny w Krakowie" an der nordöstlichen Ecke des Rynek - da geht die deutsche Bezeichnung "Marienkirche" doch erheblich leichter über die Lippen.

Krakau 1987, Marienkirche Rynek

Ein Foto von 1987: Blick über den Rynek, den Hauptmarkt, im Zentrum von Kraków.

All das hat sich gar nicht so sehr verändert im Vergleich zu 1987. Sicherlich, die Farben der Häuser sind etwas frischer, es gibt etwas mehr Kunst auf dem Marktplatz, es gibt wesentlich mehr Cafés und Restaurants auf dem Markt und doch ist es schwieriger geworden, einen Platz zu bekommen. Die Touristen sind zahlreicher geworden - ebenso sind die Touristen-Kutschen viel zahlreicher, edler und in der Nacht mit LED-Lämpchen versehen worden (wobei für mich die Grenze zum Kitsch zuweilen deutlich überschritten ist - aber, wenn's gefällt und den Umsatz ankurbelt, bitteschön...).

Die gewaltige Marienkirche ist beeindruckend wie eh und je - und bietet jede Stunde ein schönes, an die Historie der Stadt erinnerndes Ritual: Das Trompeten-Signal "Heinał" wird auch in Zeiten des Kapitalismus weiterhin regelmäßig gespielt. Es ist womöglich eine Legende, man weiß es nicht genau - aber das abrupte Ende des Signals deutet auch womöglich heutzutage darauf hin, dass der Trompeter  im Jahr 1241 bei einem Tartarenangriff von einem Pfeil getroffen wurde. 1987 mochte ich dieses stündliche Ritual und kann mich gut daran erinnern - und ich mag dem Trompetensignal immer noch lauschen. Heute allerdings wird vom Boden nach Ende des Signals (das in alle vier Himmelsrichtungen erfolgt) fleißig geklatscht und vom Trompeter freundlich gewunken.

Krakau, Marktplatz Tuchhallen

Auf dem Rynek Główny, dem Hauptmarkt der Altstadt, ist immer etwas los - hier z.B. am Sonntagmorgen um 11 Uhr. Und die "Sukiennice", die Tuchhallen, mitten auf dem Platz beeindrucken zu jeder Tageszeit.

Voller Menschen ist es fast den ganzen Tag lang auf dem Altstadt-Marktplatz, dem Rynek. Auch die Straßen in Richtung "Brama Floriańska", dem "Florianstor", sind immer voller Menschen. Auf den ersten Blick scheint alles fest in der Hand der Touristen zu sein. Und doch: Wenn man mal etwas "quer" geht, gerade mal um zwei Ecken herum, kann es einem passieren, dass man trotz der neugierigen Menschenmengen plötzlich mit wenigen anderen Leuten fast allein in den Straßen und Gassen ist. Das ist dann ebenso verblüffend, wie schön und, ja, beruhigend: Die Altstadt von Kraków hat sich bis heute einige authentische Ecken bewahren können. Wie toll! Das sind dann Straßen, in denen man kein großes Angebot an Gaststätten und Besonderheiten findet. Da ist die Altstadt dann so, wie sie wohl "echt" ist.

Ein Glück dabei: Die Altstadt ist weitgehend autofrei. Einige Einheimischen dürfen sich mit ihrem Wagen offenbar hier hinein begeben, natürlich gibt es zu bestimmten Zeiten Lieferverkehr - aber es gibt eigentlich keinen spürbaren Autoverkehr in der Altstadt von Kraków. Und sicherlich macht dies viel von der Atmosphäre der Altstadt aus: Es gibt hier insgesamt wohl mehr Kutschen, als Autos.

Krakau, Altstadt Nebenstraße

In einer Nebenstraße in der Altstadt, abends um acht Uhr: Es ist nicht sonderlich schwer, dem Strom an Menschen in der Altstadt von Kraków zu entgehen.

Auf viele Details will ich nun gar nicht eingehen - es gibt viel zu viele beachtenswerte Dinge zu sehen, es lohnt sich einfach, die Altstadt von Kraków zu besuchen und am besten kreuz und quer nach eigenem Ansinnen durch die Innenstadt zu streifen, auch mal in den einen oder andere Durchgang oder Hof zu schauen. Man wird ganz sicher viele schöne Perlen entdecken. Und warum nicht die Altstadt auf dem alten Stadtwall, heute der schöne Park "Planty", einfach mal umrunden? Man startet und endet am besten beim Wawel. Mich beeindruckt es auf diesem Weg sehr, wie viele Bänke in diesem Park zu einer kleinen Pause einladen. Insgesamt strahlt die Altstadt von Kraków eine fast magische Schönheit aus - kein Wunder, dass viele dies auch genießen wollen.

Und wo viele Touristen sind, da sind auch viele Leute, die an den Touristen ein paar Zloty verdienen wollen. Auf der Haupt-Touristen-Piste durch die Altstadt, den "Königsweg" vom Wawel bis zum Matejko-Platz wird man häufig von irgendwelchen Schleppern angesprochen, meist geht es darum, in irgendwelche Restaurants oder Veranstaltungen gelockt zu werden. Grundsätzlich mag ich so etwas nicht, finde es hier aber durchaus angenehm, dass man auf kleine Gesten schon reagiert: Ein kleines Kopfschütteln, zuweilen nur ein abweisender Blick - und man wird wieder in Ruhe gelassen. So kann ich dann doch damit leben (eine Woche später in Wroclaw erlebe ich diese Schlepper völlig anders, nämlich massiv aufdringlich).

 

Angesagte Viertel - kommende Viertel: Stradom, Kazimierz, Podgórze, Kleparz

Aber nicht nur die Altstadt von Kraków ist sehenswert. Ein unbedingtes Muss sind auch andere Stadtviertel, wie das jüdische Viertel Kazimierz - früher mal, bis ins 19. Jahrhundert, eine selbständige Stadt. Lange Zeit wohl eine Art Geheimtipp mit einem gewissen morbiden Charme, geht es in dem historischen Viertel Kazimierz inzwischen auch schon recht touristisch zu. Allerdings lange nicht mit solchen Menschenmassen, wie in der Altstadt. Und mir scheint es auch so zu sein, dass hierher "andere Touristen" kommen, als auf den Rynek. Vielleicht sind die Personen, die hierher kommen, weniger "erlebnisorientiert"? So ist jedenfalls mein Empfinden.

Hier war früher das Zentrum des jüdischen Lebens in Kraków - und auch heute gibt es hier noch jüdisches Leben. Ein schönes, altes Viertel, das dazu einlädt, in Ruhe durch die Gassen zu schlendern. Es geht gemütlich zu in Kazimierz. Jede Menge Cafés laden zum Verweilen ein, es gibt koschere Restaurants, nicht selten begegnet man hebräischer Schrift. Vieles wirkt noch etwas alt, zuweilen noch sanierungsbedürftig - aber nicht ruinös. Das Viertel hat einen ganz eigenen Charakter und strahlt Charme aus, es bringt Spaß, Kazimierz zu entdecken. Besonders auch am Abend.

Krakau, Kazimierz Szeroka

Einladend: Die ul. Szeroka im Stadtteil Kazimierz bietet viel Gastronomie. Man kann hier auch koscher essen.

Aber eine komische bis unangenehme Begebenheit passiert mir auch. Eine Weile treibe ich mich schon herum in Kazimierz, bin gerade unterwegs auf der "ul. Szeroka" (Breite Straße), vor der früheren Synagoge - wohl das Zentrum von Kazimierz. Orientiere mich ein wenig in die Richtung der vielen Restaurants in der Straße, mache ein paar Fotos - als sich mir zwei Männer in den Weg stellen. Beide nebeneinander, beide breit wie ein Schrank, beide durchtrainiert, beide mit einem "Knopf im Ohr", beide mit direktem, drohendem Blick. Ohne Worte wird mir mitgeteilt: "Hier ist jetzt Schluss - du gehst hier jetzt nicht weiter!". Erst da bemerke ich die recht große Gruppe an jungen Leuten, augenscheinlich alles nur junge Männer, südländische Typen. Vielleicht um die 50 Personen. Und alle tragen Kippa - eine große jüdische Gruppe also. Nun ist es ja nicht so, dass Besuchergruppen in Kraków ungewöhnlich sind oder etwas Besonderes, von daher sind die mir bisher gar nicht weiter aufgefallen. Aber - die jungen Leute hier in Kazimierz scheinen etwas Besonderes zu sein. Ein ganzes Rudel an offenbar gut vernetzten Bodyguards begleitet sie und passt auf, dass ihnen niemand zu nahe kommt. Und das merke ich gerade selber. An sich habe ich kein Problem damit, bin aber doch verdattert über den abrupten Stimmungswechsel hier auf dem Platz. Tja, so ist die wohl, die Welt, in der wir leben - es wird streng aufeinander aufgepasst. Auch an den friedlichsten Orten. Es passiert weiter nichts, aber diese kleine Begebenheit zeigt ja auch so einiges. Und eigentlich möchte ich nicht, dass die Welt, in der ich lebe, so ist. Aber es geht wohl auch nicht anders, leider.

Kazimierz - hier atmet die Stadt Kraków eine ganz eigene Luft. Es bringt mir Freunde, das Viertel und ebenso das direkt angrenzende Stradom zu erkunden. Wechselt man in Höhe dieses Stadtteils über den Fluss "Wisła" (auf deutsch die Weichsel) auf das andere Ufer der Stadt, dann landet man in Podgórze - der Stadtteil, in dem ich mich verlaufen habe, um dann auf dem "Kopiec Krakusa" landen, was ich ja ganz zu Beginn ausführlich geschildert habe. Aber auch über dieses Erlebnis hinaus ist der Stadtteil interessant. Eher wenig touristisch, somit eher ursprünglich. Nicht überall ist es hier unbedingt klassisch "schön", aber ich finde solche Stadtviertel einfach interessant und eine Erkundung wert, vielleicht ja dann doch in Verbindung mit einem Besuch des Museums in der Fabrik von Oskar Schindler?

Krakau, Podgórze Josephskirche

Die "Kościół św. Józefa" ("Josephskirche") im Stadtteil Podgórze - beeindruckend schön.

Interessant - das gilt ebenso, vielleicht noch etwas mehr, für das Viertel Kleparz, direkt nördlich der Altstadt. Als ich mich hier eine Weile herumtreibe und mich umschaue, erschrecke ich mich sogar etwas. Es gibt mir das Gefühl, dass das Gefälle zwischen Arm und Reich in der Stadt enorm ist. Und das auf sehr engem Raum: Nur wenige Meter außerhalb des super-touristischen, schicken und teils edlen Altstadt-Gürtels begegne ich hier zuweilen erschreckender Armut. Auf dem Markt des Stadtteils Kleparz werde ich plötzlich mehrfach angebettelt, es geht hier vielen Leuten augenscheinlich so schlecht, dass ich hier fast gar nicht fotografieren mag - auch das ist Teil der Realität in Kraków. Insgesamt geht es hier jedoch sehr lebendig, sehr quirlig zu, viele Leute sind unterwegs. Einige der Gebäude, die mir in meiner Stunde Weg durch das Viertel über den Weg kommen, sind in erschreckend schlechtem, fast ruinösem Zustand - der morbide Charme von Kazimierz wird von Kleparz noch deutlich übertroffen. Vieles geht etwas chaotisch-bunt durcheinander: Das Lebensgefühl hier ist ein völlig anderes, als wenige Meter weiter, innerhalb des Altstadtrings. Aber: Es gibt in Kleparz viel schöne Bausubstanz aus der Gründerzeit. Ohne Zweifel ist es nur eine Frage der Zeit, wann hier Investoren anfangen, im großen Stil zu sanieren und renovieren - vereinzelt kann man solche Tätigkeiten bereits sehen. Schon allein aufgrund der großartigen Lage sehr nahe des Zentrums wird es wohl nicht mehr lange dauern, bis es hier eine bevorzugte Lage mit ganz schicken Wohnungen sein wird - und immer weniger Platz für die lang angestammte Bevölkerung bleiben wird.

Krakau, Podgórze Josephskirche

Der Markt im Stadtteil Kleparz - hier herrscht eine völlig andere Atmosphäre, als einen Kilometer weiter in der Altstadt.

 

Aufenthalt am Wasser: Am Ufer der Wisła (Weichsel)

Immer wieder mal während meines Aufenthalts lande ich irgendwie am Ufer der "Wisła", der Weichsel. Und immer wieder finde ich es schön dort. Nun gut: Ich bin gerne am Wasser - auch im heimatlichen Hamburg sind viele meiner Lieblingsorte an der Alster, an der Elbe, an der Bille. Von daher ist es kein Wunder, dass es mir in Kraków auch so gut gefällt, am Wasser zu sein - also an der Wisła.

Aber das geht nicht nur mir so, das machen auch viele Einheimisch so. Ganz offenkundig ist die Wisła auch einer der Lieblingsorte der Krakauer. Zwar ist der Fluss, zumindest hier im Stadtgebiet, eingesperrt, also total kanalisiert - er hat nicht mehr viel Ursprüngliches behalten. Und doch: An den breiten Wegen an seinen Ufern entlang lässt es sich vorzüglich flanieren. Oder an einem warmen Tag ins Gras fläzen. Das tun viele Einheimische - und ich tue es ihnen gerne gleich. Mal am Fuße des Wawel, wo auf dem Grün schon fast Gedränge herrscht - mal viel ruhiger am Ufer des Stadtteils Dębniki.

Krakau, an der Weichsel

Offenbar beliebt: Etwas relaxen auf der Grünfläche an der Wisła - direkt am Fuße des Wawel.

 

 

 

Gerne verweile ich hier dann etwas, schaue mir das Treiben an. Stelle dabei verblüfft fest, dass die Polen mehr und mehr ein Volk von Radfahrern werden - eine Facette, die ich in Polen noch nirgendwo so stark bemerkt habe, wie jetzt hier am Ufer der Wisła in Kraków. Mich als alten "Fahrradfreak" erfreut das natürlich in höchstem Maß. Im Stadtbild selber sehe ich nicht ganz so viele Fahrradfahrer, aber hier, am glücklicherweise autofreien Flussufer, nutzen viele Einheimische das Rad offenbar als Sportgerät. Finde ich sehr erfreulich.

Nicht unerwähnt lassen möchte ich dabei den "Walk of Fame" am Ufer der Wisła, direkt am Fuße des Wawel. Neben vielen, mir zumeist unbekannten Namen stehe ich plötzlich vor einem im Boden eingelassenen Stern und einem Händeabdruck von... Claudia Cardinale! Ja - mama mia! Fast trifft mich der Donnerschlag - Claudia Cardinale, hier in Kraków! Augenblicklich stürze ich gedanklich um ca. 45 Jahre zurück. Eine, nun ja... Heldin meiner ganz frühen Pubertät. Wann hätte ich wohl ohne Claudia Cardinale verstanden, dass weibliche Wesen doch etwas attraktives Anderes haben, als wir Jungs? Ich bin mir da heute nicht so sicher... Einige Sekunden lang bin ich versucht, mich hinab zu knien und meine Hände auf ihren Händeabdruck zu legen - aber das ist mir an diesem schönen Abend vor den vielen, vielen anderen Spaziergängern dann doch etwas zu peinlich. Aber, ach - im Nachhinein betrachtet, ist das aber doch schade!

Krakau, Walk of Fame Claudia Cardinale

Am Ufer der Wisła, direkt am Fuße des Wawel hat Kraków einen eigenen Walk of Fame eingerichtet - und mich überrascht es, hier auf Claudia Cardinale zu treffen.

Nur ein Stückchen weiter stehe ich vor dem Stern von Maanam. Potzblitz - Maanam! Wieder gibt es einen kleinen Zeitsprung in meinem Kopf, diesmal nicht ganz soweit zurück. Maanam, die legendäre polnische Rockband - schon lange Zeit sind die mir nicht mehr in den Sinn gekommen. Wie einen kleinen Schatz verwahre ich seit 1987 zwei Langspielplatten der Band - obwohl ich über gar kein Abspielgerät für Schallplatten mehr verfüge. 1987, das einzige Rockkonzert einer polnischen Gruppe, das ich jemals erlebte, und bis heute nicht vergessen habe (und einige Jahre lang habe ich fürwahr viele, viele Konzerte gesehen - und ähnlich viele vergessen). Maanam, 1987, wenige Wochen vor meiner ersten Reise nach Polen - das war sehr besonders, außergewöhnlich, exzentrisch - vor allem die Sängerin Nora: Einfach völlig anders, als die westlichen Bands. Und damals, mit all meinen Vorurteilen behaftet, war es für mich überraschend, dass "so etwas Außergewöhnliches aus einem sozialistischen Land kommen kann", tja... Und sogar auf Englisch haben sie Titel veröffentlicht. Wieder stehe ich lächelnd eine längere Weile vor dem Stern des Walk of Fames am Ufer der Wisła - ja, das ist ja ein schöner Effekt dieser Sterne und auch Maanam hat diesen Stern sicherlich verdient! (Die auf youtube zu findenden Original-Videos aus den 1980er Jahren zeigen übrigens auch interessante Eindrücke aus dem Polen der damaligen Zeit).

 

Aber auch unabhängig davon: An der Wisła ist es schlicht schön! Die schönsten Sonnenuntergänge in Kraków gibt es wohl hier. Auf einigen Pontons gibt es Gastronomie auf dem Fluss - das sieht einladend aus. Wer mag, kann mit Ausflugsdampfern eine Runde auf der Wisła drehen. Und über allem erstrahlt direkt am Ufer der alte Königspalast, der Wawel.

 

Nowa Huta - die Sozialistische Musterstadt als Überraschung

"Nowa Huta" - schon der Name klingt, wie eine Drohung: "Neue Hütte". Puh! Hust! Eine nach dem Krieg, in den 50er Jahren, künstlich aus dem Boden gestampfte Stadt direkt vor den Toren von Kraków, heute ein Stadtbezirk von Kraków. Immerhin leben hier mit derzeit 220.000 Einwohnern fast schon ein Drittel der Bevölkerung von Kraków. Hauptbestandteil von Nowa Huta, keine Überraschung: Ein gigantisches Hüttenwerk. Das ist auch heute noch in Betrieb, und es ist mitverantwortlich für ein enormes Maß an Luftverschmutzung in der Stadt, in der Region.

Eigentlich ist Nowa Huta die Wohnstadt für die Familien der Mitarbeiter des Hüttenwerks. Schon lange bevor ich damals, 1987, nach Polen reiste, war Nowa Huta mir ein Begriff - DER Inbegriff für Luftverschmutzung im Europa der 1980er Jahre. Verhältnisse wie in den 1950er/60er Jahren im Ruhrgebiet sollten dort herrschen. Der Zufall wollte, dass die Unterkunft meiner kleinen Reisegruppe 1987 in einem Studentenwohnheim am Rande von Nowa Huta lag - und von dem legendären Smog habe ich damals überhaupt nichts wahrgenommen. Ein Foto, das ich damals aus dem Fenster des Wohnheims gemacht habe, irritiert mich auch lange Zeit danach, lässt mich an einen Irrtum glauben: Es ist fast nur Grün zu sehen, im Hintergrund einige Plattenbauten. So viel Grün! Kann DAS Nowa Huta gewesen sein, war ich denn wirklich in Nowa Huta - oder habe ich mich vertan?

Nowa Huta 1987, Blick aus dem Fenster

Ein Foto von 1987: Blick aus dem Fenster eines Studentenwohnheims. Sieht so wirklich Nowa Huta aus?

Ja - in der Tat! Das war damals in Nowa Huta - das kann ich anhand von Aufzeichnungen aus der damaligen Zeit nachvollziehen. Und auch bei dieser Reise nehme ich mir die Zeit, Nowa Huta zu besuchen und näher zu erkunden. Man ist leicht und schnell dort - eine moderne Tram fährt flott nach Nowa Huta im Osten von Kraków. Und bei einem kann man sich recht sicher sein: Vor Touristen hat man hier weitgehend seine Ruhe. Wenn man sich in Nowa Huta hinstellt und Fotos macht, dann wird man von den Passanten verblüfft gemustert. Wenn man in den Supermarkt geht und die Kassiererin fragt etwas, dann ist sie höchst irritiert, wenn man kein polnisch versteht und englisch redet.

Doch eigentlich ist es komisch, dass es so wenige Touristen hierhin verschlägt. Man muss Nowa Huta ja nicht unbedingt schön finden - aber es ist sehr besonders und bemerkenswert. Dort hat man Anfang der 1950er Jahre eine sozialistische Musterstadt, ein Arbeiterzentrum, aufgebaut - auch und gerade, um dem edlen, konservativen, königlichen Kraków einen klaren, scharfen sozialistischen Kontrapunkt entgegenzusetzen.

Nowa Huta, Haus am Plac Centralny

Blick entlang einer Häuserfront am Plac Centralny in Nowa Huta.

Solche Orte gibt es in dieser Reinheit nicht viele auf der Welt. Reihenweise fünf- bis sechsgeschossige Häuser, anfänglich noch im sozialistischem Klassizismus erbaut, später sparsamer konstruiert. Die Fassaden vieler dieser Gebäude sind noch nicht saniert und zeigen wohl noch das Originalgrau aus sozialistischer Zeit. Über Baustile kann man sicher streiten und auch über die Farbgebung, hier und da etwas neue Farbe könnte Wunder wirken. Fast die gesamte Zeit staune ich allerdings, wie ungeheuer großzügig die Raumplanung in Nowa Huta ist: Autos finden genügend Platz - aber es bleibt doch noch viel, viel mehr Raum für die Menschen. Es ist fast schon irritierend "luftig" zwischen diesen großen, langgezogenen Gebäuden. Fast könnte ich mich richtig begeistern für die Großzügigkeit, mit der hier geplant und gebaut wurde. Was will man eigentlich mehr: Verblüffend viel Grün (das sich jetzt im beginnenden Frühling gerade erst ganz zart entwickelt), überall Bänke, um sich eine Pause zu gönnen.

Eine Pause - an der frischen Luft? Nun, diese ist sicherlich nicht mehr so extrem belastet, wie zu sozialistischer Zeit. Aber die Stahlhütte ist noch in Betrieb, wenn auch nicht mehr unter dem Namen von Lenin, sondern heute mit dem Namen Tadeusz Sendzimir und unter dem Schirm eines luxemburgischen Stahlunternehmens. Ein kurzer Exkurs hierzu: Im Stadtzentrum von Kraków bin ich mal über eine Luftmessstation meiner Krakauer Kollegen gestolpert - anderslautender Gerüchte zum Trotz wird auch in Polen sehr akribisch und nach allgemein gültigen europäischen Vorschriften nach Luftverschmutzung gesucht. Und speziell in der Region um Kraków und im Oberschlesischen Kohlerevier wird im Winter eine Feinstaub-Dauerbelastung gemessen, die es in Deutschland so schon längst nicht mehr gibt (der Kohle-Verbrennung sei "Dank", im Sommer ist diese Belastung deutlich geringer). Dafür leidet man in Kraków erheblich weniger an dem Gas Stickoxid. Wen es interessiert, findet im Internet präzise Informationen zur Luftbelastung in der Wojewodschaft Małopolskie ("Kleinpolen").

Nowa Huta 1987, Blick aus dem Fenster

Ein Foto auf einer Stelltafel des Nowa Huta-Museums gibt einen kleinen Eindruck davon, wie es um die Luftbelastung durch den Hüttenbetrieb in den 1970er Jahren aussah.

Aber jetzt schnell zurück nach Nowa Huta! Wenn man mit der Straßenbahn dorthin fährt, steigt man zweckmäßigerweise am Plac Centralny (der heute auch den Namen Ronald Reagans trägt) aus. Das gibt die Gelegenheit, dem Solidarność-Denkmal ein paar Augenblicke zu widmen. Von diesem zentralen Platz aus bieten sich diverse Möglichkeiten, in Nowa Huta förmlich "einzutauchen". Mich verschlägt es eher nach Gefühl (einen Plan von Nowa Huta habe ich gar nicht) promt in die breite "Aleja Róż" (Rosenallee) - und dort mache ich prompt einen Fehler. Dem Nowa Huta-Muzeum widme ich nicht die Aufmerksamkeit, die ihm gebührt! Zwar nehme ich die sehr interessanten und informativen Stelltafeln wahr, die auf dem Fußweg installiert sind. Aber ich hätte mir die Zeit nehmen sollen, mir das Museum anzuschauen! Nirgendwo sonst bekommt man die Chance, über diesen sehr außergewöhnlichen Ort Nowa Huta ähnlich viel zu erfahren. Mir läuft das Museum bei meinem Besuch allerdings einfach viel zu früh über den Weg, ich weiß zu dem Zeitpunkt einfach noch gar nicht, was und wie viel ich mir hier in Nowa Huta heute wohl anschaue. Im Nachhinein bedaure ich es sehr, mir nicht sofort Zeit für dieses Museum genommen zu haben.

Nowa Huta, Denkmal Solidarnosc

Nowa Huta war ein unruhiger, immer wieder aufrührerischer Ort während der Zeit des Kommunismus in Polen. Das große Denkmal für die freie Gewerkschaft Solidarność steht direkt am großen Plac Centralny.

Eine zweite Sehenswürdigkeit in Nowa Huta habe ich auch verpasst - sie kam einfach nicht über meinen (planlosen) Weg und gezielt aufgesucht habe ich sie auch nicht: Die Kościół Matki Bożej Królowej Polski, die "Kirche der Mutter Gottes, der Königin von Polen". Nicht nur eine Kirche - auch durchaus ein historischer Ort. Trotz massivem Widerstand der kommunistischen Partei wurde der Bau der Kirche mühsam durchgesetzt. Ein sehr früher Fall eines offenen Zwistes zwischen Kommunisten und Kirche.

Man läuft läuft in Nowa Huta durch eine Stein gewordene Vision, die es so nur wenige Male auf der Erde gibt. Die Steine stehen heute weiter, die sozialistische Vision ist schon längst untergegangen. Das finde ich durchaus faszinierend.

Nowa Huta, sehr breite Strasse

Nein, kein Park, sondern eine Hauptverkehrsstraße in Nowa Huta: Die "ul. Generała Mieczysława Boruty-Spiechowicza".

Es ist eine große, angenehme Überraschung für mich: Da ich mir viel Zeit und Ruhe hier gönne, fühlte ich mich hier in Nowa Huta verblüffend wohl. Schon einige Male bin ich in früheren Zeiten schon in Straßenzügen und Quartieren sozialistischer Kultur unterwegs gewesen: in Moskau, Warszawa, Ost-Berlin, Eisenhüttenstadt oder Bukarest. Aber nirgends war die sozialistische Architektur so riesig, wie hier in Nowa Huta - und nirgends so, ja: angenehm.

Also, ich finde: Nowa Huta sollte besucht werden! Es ist in der Tat ein spannender Kontrapunkt zu der historischen Stadt Kraków. Und es ist einfach anders, als fast alles, was man so kennt. Hier und da habe ich Warnungen gelesen, dass man abends im Dunkeln in Nowa Huta vorsichtig sein solle. Nun bin ich ja nur bei Tageslicht hier unterwegs - habe da aber keine Situation bemerkt, in der ich mehr als gewöhnlich umsichtig oder gar vorsichtig hätte sein müssen.

Natürlich muss ich noch einen Blick auf die Stahlhütte werfen. Auf dem Weg aus dem Wohngebiet dorthin quert man ein ansehnliches Naherholungsgebiet. Von der Hütte selber sieht man erstaunlich wenig, lediglich die beiden markanten Verwaltungsgebäude an der Einfahrt bleiben in Erinnerung.

Nowa Huta, Stahlhütte Verwaltungsgebäude

Was für markante Gebäude - das ist polnische Industriegeschichte! Die Verwaltungsgebäude an der Einfahrt zur riesigen Stahlhütte in Nowa Huta.

Aber mein eigentlicher Weg führt mich noch weiter, eine Viertelstunde Fußweg noch, zu einem nicht unerheblichen Teil direkt über eine Straßen-Baustelle. Aber dann bin ich da, ganz gezielt angesteuert: Beim "Kopiec Wanda" - dem zweiten dieser mystischen Hügel in und um Krakau. Nein, er ist nicht so hoch und es ist nicht so magisch, wie zwei Tage zuvor auf dem "Kopiec Krakusa". Die Aussicht von hier - relativ unspektakulär. Aber es ist ein ruhiger, schöner Ort. Eine junge Studentin nutzt die Ruhe, um im Sonnenschein zu lernen. Sonst ist hier außer mir niemand. Irgendwoher kommt dann nach einiger Zeit noch ein polnisches Touristenpaar, hält sich aber auch nicht lange auf. Es ist hier nicht viel los.

Immerhin gibt es hier eine Straßenbahn-Haltestelle, die einen direkt zurück zum Plac Centralny in Nowa Huta bringt.

 

Ausflug in das andere polnische UNESCO-Welterbe der ersten Stunde, das Salzbergwerk Wieliczka

Außer der Altstadt und dem Wawel von Kraków gehört auch das historische Salzbergwerk Wieliczka (auf deutsch "Groß Salze") zum allerersten Weltkulturerbe, das die UNESCO 1978 ernannt hat. Zwei von damals zwölf erstmalig ernannten Weltkulturerbestätten - in Polen! Das ist doch schon für sich beeindruckend. Das Saltzbergwerk Wieliczka - eine weltweite Besonderheit! Von Kraków nur eine kurze, unkomplizierte Zugfahrt entfernt. Also: Nichts, wie hin da!

Wieliczka, Ortsmitte Marktplatz

Der Marktplatz "Rynek Górny" im Zentrum von Wieliczka. Nein, hier geht es nicht direkt in die Salzwelt im Untergrund, aber das aufgemalte, riesige und eindrucksvolle 3-D-Bild erweckt fast diesen Eindruck. Das 2012 erstellte Werk des Künstlers Ryszard Paprocki heißt dementsprechend "Solny Świat" ("Salzwelt").

Es ist ein Montag, es ist Anfang April, also noch keine besondere Touristenzeit, da gibt es zweimal täglich deutschsprachige Führungen im Salzbergwerk Wieliczka - und es reicht heute bequem, eine Stunde vor der um 11 Uhr startenden Führung ein Ticket zu kaufen. Im Sommer ist es sicherlich empfehlenswert, dieses rechtzeitig zu reservieren. Denn: Ohne Führung (es gibt verschieden lange Führungen) kein Zugang in das Bergwerk!

Wieliczka, Treppen hinab ins Salz

Abwärts in die Erde geht es, hinein ins Bergwerk Wieliczka - teilweise über stabile Treppen und gut beleuchteten Wegen. Keine Sorge: Hinauf geht es später  komplett mit einem original Bergmann-Fahrstuhl.

Nicht nur, dass man dem Steinsalz und dem Salzbergwerk ganz nahe ist, es geht hinab bis auf 130 m Tiefe: Man hat dort aus dem Salz vielerorts Kunst geschaffen. An einigen Orten wird die historische Entwicklung des Steinsalzabbaus anhand von in das Salz geschlagene Figuren und Darstellungen großartig dargestellt. Immerhin seit dem 13. Jahrhundert wird hier Salz abgebaut.

Und der Besuch hier ist ein Erlebnis! Der Höhepunkt ist sicherlich die auf ca. -96 m liegende Kapelle (die "Kingakapelle") in einer der zahlreichen großen Hallen. Ein Meisterwerk der Baukunst im Salz! Die historischen, hölzernen Stützbauten in einigen Hallen sind ebenso gewaltig und beeindruckend.

Wieliczka, Gang im Salzbergwerk

Richtiges "Bergwerk-Feeling" kommt auf der insgesamt eindrucksvollen Führung im Salzbergwerk allerdings nur manchmal auf.

In der Hochsaison besuchen bis zu 7.000 Personen das Salzbergwerk. Und - man muss es zugeben: Man sieht natürlich nur einen winzigen Bruchteil des gesamten Bergwerks, und man wird hier ziemlich flott in eineinhalb Stunden "durchgeschleust". In meinem Fall von einer Dame mit viel verschmitztem Witz und charmanter Höflichkeit. Man hat dann noch eigene, freie Zeit für eine Verkaufsausstellung und Blicke in einige unterirdische Veranstaltungshallen. Insgesamt ein tolles Erlebnis - wenn man denn Interesse an unserer Erde und ihren Besonderheiten hat.

 

Nachklang: Zehn Tage später noch ein Nachschlag in Kraków

Nach zunächst fünf Tagen in Kraków geht meine Polen-Reise weiter. Allerdings verlasse ich die Stadt nicht für allzu lange Zeit: Nach kürzeren Aufenthalten in Łódź (Lodsch) und Katowice (Kattowitz) sowie einer Woche auf Bildungsurlaub in Wroclaw (Breslau) geht es für mich nochmal für 24 Stunden zurück nach Kraków - von wo der Flug dann nach Hause geht.

Zumindest innerhalb Polens will ich mich ja mit Zügen bewegen - und habe mir da für die Abreise nach den ersten Tagen in Kraków etwas Spezielles überlegt: Den erst vor gut einem Jahr eingeführte "Express InterCity Premium" der polnischen Staatsbahnen PKP will ich nutzen - brandneue Hochgeschwindigkeitszüge, die allerdings in Ermangelung entsprechender Gleise nicht wirklich in Hochgeschwindigkeit fahren. Und da diese Züge nur auf wenigen Strecken unterwegs sind, nutze ich die Chance, mit diesem modernen High-Tech-Zug auf dem Weg nach Łódź erstmal einfach bis nach Warszawa (Warschau) zu fahren, von wo es nach ein paar Stunden Pause dann weiter geht. Ein Umweg, aber das ist mir egal. Zugfahren in Polen ist recht günstig (und zuverlässig, sicher und pünktlich), auch, wenn die Fahrt mit dem neuen Zug vom Komfort her fast schon an Fliegen erinnert - man bekommt sogar ein kostenfreies Getränk am Platz serviert.

Nach meiner Reise durch einige Städte Polens komme ich dann also fast auf die Stunde genau zwei Wochen nach meiner ersten Ankunft in Kraków wieder in Kraków an, diesmal per Zug aus Wrocław. Es ist jetzt Mitte April - und schon auf den ersten Blick hat sich in der Zwischenzeit einiges verändert. Dass es an diesem Tag ein brüllend heißes, schwüles Wetter ist, wie ich es daheim nur manchmal im Hochsommer erlebe, ist sicherlich Zufall. Aber es sind in der Zwischenzeit sämtliche Bäume grün geworden. Und es sind noch viel, viel mehr Touristen in der Altstadt.

Ein wenig ratlos bin ich, wie ich den Tag sinnvoll fülle. Entscheide mich nach der interessanten aber auch anstrengenden 14-tägigen Reise für ausgiebige Erholungspausen am Ufer der Wisła. Direkt neben dem Wawel, dann direkt Vis-a-vis des Wawels - das hat schon Lebensqualität. Irgendwann zwickt mich meine Neugierde aber doch noch und ich beschließe, noch zum dritten dieser künstlichen, mystischen Hügel zu laufen, dem "Kopiec Kościuszki" ("Kościuszki-Hügel"). Man kann ihn von der Wisła in der Innenstadt aus gut sehen, er ist ganz schön hoch. Offenbar kann ich eine ganze Weile lang dem Flusslauf folgen, um in seine Nähe zu kommen. Ein prima Unterfangen - nur: Es gelingt nicht. Nach einer halben Stunde, auf etwa halbem Wege, gerade beim Überqueren der Wisła, drehe ich um. Es zieht offenbar ein Unwetter genau aus der Richtung auf, in die ich eigentlich gehen will. Ziemlich eilig geht es zurück und es gelingt mir gerade noch rechtzeitig, mich nur ein wenig "angenässt" mit einigen anderen Schutzsuchenden unter eine Brücke zu retten, schon wieder in Innenstadtnähe. 20 Minuten lang bricht ein enormes Unwetter über Kraków hinweg. Niemand unter der Brücke hat bedacht, dass der Wasserablauf der Brücke direkt zu dem Standort der Schutzsuchenden geht - dadurch wird es etwas eng bei den Wartenden... Macht nix - die Belohnung nach Ende des Sturzregens ist üppig: In einem atemberaubend schönen Lichtspektakel wirft die wieder auftauchende Sonne zwei Regenbögen genau über den Wawel - mit den fast schwarzen Wolken im Hintergrund. Jeder der Radler, die jetzt wieder unterwegs sind, springt sofort von Fahrrad, um diesen magischen Moment mit der Kamera des Handys zu dokumentieren. Mit meiner kleinen, billigen "Not-Kamera", die ich nach dem Defekt meiner guten Kompaktkamera in Katowice kurzfristig erstehen konnten, gelingt es leider nur leidlich, die grandiose Szenerie zu erfassten.

Krakau, aufziehendes Unwetter

Auf dem Photo kaum zu erkennen, aber rechts ist das Ziel meiner kleinen Wanderung, der "Kopiec Kościuszki" schon zu ahnen. Bei dem Aufzug der Wolken drehe ich auf der Brücke über die Wisła dann allerdings doch lieber um.

Aber doch: Der strahlende Regebogen direkt über dem Wawel - die glanzvolle Szene wirkt auf mich ein wenig, wie ein Abschiedsgeschenk nach meiner 14tägigen, sehr intensiven Reise durch Polen.

Krakau, Regenbogen neben der Kathedrale

Die Kathedrale auf dem Wawel wird von einem Regenbogen fast gestreift.

Am Abend schlendere ich dann noch ein wenig durch die Altstadt, und bemerke: Gerade die sich in die Stadt ergießenden Touristenmassen haben Folgen. Es ist Samstagabend und die doch eigentlich sehr erhabene Altstadt von Kraków scheint zu einer riesigen Partyzone zu werden. Vielleicht ist es so, weil Wochenende ist - aber ich erlebe Szenen in der Altstadt, die mir wirklich die Haare zu Berge stehen lassen. Ganze Horden zumeist junger Leute sind unterwegs, viele von ihnen haben schon am frühen Abend einen irritierend hohen Alkoholpegel. Es wird an allen Ecken gegrölt. Man ist gut drauf - ein ganz, ganz anderes Erlebnis, als das, was ich vor 14 Tagen auf dem Kopiec Krakusa hatte. Aber es sind jetzt andere Leute hier unterwegs, ich höre diverse europäische Sprachen, viel Englisch und Niederländisch und skandinavische Sprachen. Es scheint so eine Art Sauftourismus in Kraków zu geben - und der ist ziemlich entsetzlich. Ich beobachte Szenen, die widerwärtig sind. Mein Entsetzen, über das, was in der Altstadt abgeht, ist enorm. Was ist nur passiert in den letzten 14 Tagen? Vieles ist dieser grandiosen Kulisse in der Altstadt absolut unwürdig. Das ist ja gar nicht mehr "mein" Kraków...

Es ist dies eine rapide Änderung zu dem Samstag Abend vor zwei Wochen. Ob sich dies zum Sommer hin weiter so verändert? Ein wenig befürchten muss man, dass das zauberhafte, königliche Kraków durch zügel- und achtloses Verhalten eines Teils seiner jungen Besucher viel von seinem Glanz verliert.

 

Fazit: Ein Aufenthalt in einer interessanten und zauberhaften Stadt - bei perfekten Frühlingsbedingungen

Zugegeben: Die Bedingungen bei meiner Reise hätten kaum besser sein können! Die Temperaturen schießen in die Höhe, Bäume und Pflanzen fangen an, zu blühen. Und die Menschen blühen auch auf - tun sich zunächst ein wenig schwer damit, trotz schon fast sommerlicher Temperatur ihre winterliche Kleidung abzulegen. Aber nach und nach blüht alles auf... Die ganze Stadt hat ein Lächeln im Gesicht. Dann ist es leicht, eine Stadt zu mögen.

Aber Kraków ist einfach eine wunderschöne, liebenswerte, lebenslustige Stadt, mit beeindruckender Vergangenheit, mit außergewöhnlichen Stadtteilen, mit hohem Freizeitwert, mit enormer Café- und Restaurant-Kultur - die auch überall umfassend genutzt wird. Aber ich mag mir ja auch kaum vorstellen, was hier in der Hochsaison los ist.

Besonders wirkt der entspannte Charme der Einheimischen auf mich abseits der großen Touristenpfade. Das Wisła-Ufer gehört offenbar vor allem den Einheimischen - und nur zu gerne mische ich mich dort da hinein. Natürlich bin ich nicht der einzige Tourist hier, aber dies ist das Reich der Krakauer.

Auch, wenn man sich im Stadtteil Kleparz oder in Podgórze herumtreibt ist man eindeutig Gast unter Einheimischen.

Eine besondere Rolle spielt Nowa Huta. Hier ist man nicht nur Gast in einer anderen Stadt, sondern eigentlich Gast in einer anderen, allerdings schon fast vergangenen, untergegangenen Welt. In Nowa Huta sieht man mehr ernsthafte Gesichter, als in "Kraków-City", und auch mehr Menschen, denen es nicht gut geht. Hier wird man als Tourist bemerkt und wahrgenommen, neugierig betrachtet - und das gerade mal rund zehn Kilometer nordöstlich von der "Touristenflut" entfernt.

An Wochenenden jedoch ist es schwierig, an den Gruppen der Sauftouristen im Stadtzentrum vorbei zu sehen - schade! Doch trotzdem: Insgesamt hat Kraków eine tolle Mischung zu bieten, die fünf Tage hier finde ich angemessen. Kraków ist im Zentrum zauberhaft, drum herum quirlig-lebendig, jung, freundlich, vielfältig und interessant. Was kann man mehr erwarten von einer Stadt?

Ist Kraków also eine Reise wert? Ja, unbedingt! Der historische Boden ist beeindruckend, die Altstadt und auch andere Stadtteile wunderschön, Nowa Huta außergewöhnlich und interessant. Kraków hat viel zu bieten! Nur - wer dorthin fahren will, um den Anstand zu Hause zu lassen und sich peinlich zu verhalten, der sollte doch lieber überlegen, ob dies nicht besser und günstiger in der Kneipe um die Ecke erreicht werden kann.

 

Und - nach der Reise nach Polen ist vor der Reise nach Polen?

Seit 1987 reise ich also immer wieder gern nach Polen. Damals, gleich für einen zweimonatigen Aufenthalt, in die "Volksrepublik Polen". In einen diktatorischen, totalitären Staat. "Political Correctness" gab es damals noch nicht - niemand in meinem Umfeld nahm Anstoß daran, dass ich mich eine Weile in einem diktatorischen Staat aufhielt. Zumal diese Diktatur, so das allgemeine Verständnis, ja auch von extern aufgezwungen war - nach dem Zweiten Weltkrieg, von der Sowjetunion. Da hatten alle eher etwas Mitleid mit den unterdrückten Polen.

Als es dann, endlich!, 1989 den Umsturz gab, das kommunistische Regime hinfort gespült wurde und Polen demokratische Strukturen entwickelt - da freute ich mich für dieses ach so freundliche Land! Fuhr umso lieber öfters mal für einige Tage nach Polen, gleich 1991 eine Woche nach Warszawa.

Das politische Pendel in Polen schlug dann in den folgenden Jahrzehnten mal mehr nach rechts aus, mal mehr nach links - wie es eben so ist in demokratischen Strukturen.

Aber was ist jetzt?

Dieses Land, das Jahrhunderte unter angrenzenden totalitären Systemen gelitten, das entscheidet sich mehr und mehr und aus freien Stücken, wieder mehr und mehr ein totalitäres Land sein zu wollen. Man will sich isolieren, schafft mehr und mehr Strukturen, wie in einem diktatorischen Land: Medien werden zentral gesteuert - oder gar geschlossen. Die Justiz, die dritte Macht in der Demokratie, wird immer mehr von der Politik kontrolliert, Personen nach Belieben ausgetauscht. Die Opposition wird möglichst klein gehalten, Protestierende systematisch vor Gerichte gezerrt, unterdrückt. Offener Nationalismus und Rassismus wird lässig geduldet - vielleicht sogar gefördert?

Mir gefällt das nicht! Was ist los mit "meinem" Polen? Nichts gelernt aus den vergangenen totalitären Zeiten? Innerlich wende ich mich mehr und mehr mit Grausen ab...

Obwohl: Ich selber bin in Polen ein Ausländer, ein Fremder. Von dem dort - Medien zufolge - ausufernden Fremdenhass habe ich bisher nie etwas bemerkt, nicht das Geringste. Jedoch in ein Land zu reisen, in dem man mich als neugierigen Gast nicht haben will, nur weil ich woanders her komme - dazu habe ich keine Lust. Das ist nicht verlockend.

Also doch mache ich mir Gedanken: Kann man, soll man heutzutage guten Gewissens weiterhin nach Polen reisen, in einen Staat, der offenbar gerne restriktiv sein möchte? Um ehrlich zu sein: Ich weiß es nicht wirklich... Derzeit verspüre ich schlicht nicht den Wunsch, wieder nach Polen zu reisen - und sei es nur, um nach dem rechten zu schauen. Fast schon das Gefühl einer Trennung kommt auf. Aber vielleicht setzt sich auch mein Trotzkopf irgendwann durch: Ihr erschreckt mich nicht - ich komme trotzdem, auch, wenn ich Euch als Fremder nicht gefalle!

Ach, mein Polen... Mich macht Deine Entwicklung derzeit traurig, ich finde sie sogar richtig tragisch. Aber vielleicht halte ich mich da am Besten an die polnische Nationalhymne, dann weiß ich ja: "Jeszcze Polska nie zginęła" - "Noch ist Polen nicht verloren..."

 

Zu der externen Bilderserie mit 95 anderen, großformatigen Bildern von meinem Aufenthalt in Kraków (Krakau) geht es hier.

 

 

 

 

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Dirk Matzen

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