Vattenfall-Cyclassics in Hamburg 2011 -
  Mit Peitschenhieben und Ameisenbissen

Ein Erlebnisbericht zum Jedermann-Radrennen in Hamburg
  August 2011



Cyclassics 2011, Köhlbrandbrücke

 Ein Höhepunkt der Strecke gleich zu Beginn des Rennens: Die Köhlbrandbrücke (Foto: Upsolut/Hochzwei).

Hier kommt sie - die ganze, ewig lange Geschichte meiner Teilnahme an den Hamburger Vattenfall-Cyclassics 2011, einschließlich aller Vorbereitungen. Durchhaltevermögen ist gefragt, nicht nur beim Radrennen - auch beim Lesen...

Leider besitze ich es durch unvorhersehbare Umstände nicht ein einziges eigenes Foto von dem Rennen. Die hier gezeigten Bilder sind einige der vom Veranstalter Upsolut zur freien Verfügung gestellten Fotos, wofür ich mich herzlich bedanke. Wer gerne noch weitere, stimmungsvolle  Berichte über das Rennen sehen möchte, den verweise ich gerne auf die archivierte Forumsseite zu den Cyclassics 2011 auf "Helmuts Fahrrad Seiten" (neues Fenster) - sowieso immer eine empfehlenswerte Adresse.

Die vollständige Geschichte meiner Teilnahme an den Cyclassics beginnt allerdings schon gut ein Jahr vorher...

30. Mai 2010: Zum ersten Mal in meinem Leben nehme ich als "Jedermann" an einem Radrennen teil: Am Velothon in Berlin. Mit meinem einigermaßen sportlichen Fitness-Bike lege ich die 64 km lange Strecke in einer Zeit von 2 Stunden und 15 Minuten zurück, erreiche zu meiner eigenen Überraschung trotz insgesamt zehn Minuten Pause einen durchaus akzeptablen Schnitt von 28,7 km/h. Wen es interessiert, der findet hier meinen sehr ausführlichen Erlebnisbericht zum Velothon 2010 (neues Fenster).

bis 29. Juli 2010: Zum Urlaub bin ich wieder, wie im Jahr zuvor, in den Bergen: die vielen, langen, oft anstrengenden Bergwandern im Allgäu wähne ich neben dem Erholungsfaktor als perfektes Vorbereitungs- und Höhentraining für das gut zwei Wochen nach der Rückkehr aus dem Urlaub in Hamburg stattfindende 55 km-Cyclassics-Radrennen 2010.

Freitag, 06. August 2010: Nach einer Woche zurück in Hamburg verzweifle ich fast: Beim Bergwandern habe ich offenkundig andere, fürs Radfahren total unnütze Muskelgruppen trainiert! Das Fahrradfahren läuft überhaupt nicht rund, ich quäle mich förmlich jeden Tag meine läppischen 11 km zur Arbeit. Gar nichts geht!! Fast steige ich heute, am Freitag eine Woche vor dem Cyclassics-Rennen 2011, nach 5 km Weg (also nach gerade mal der halben Strecke zur Arbeit) am Hauptbahnhof vom Fahrrad und nehme den Bus - ich kann nicht mehr.

Freitag, 13. August 2010: Oho, soso - das "Höhentraining" in den Alpen hat sich offenbar doch gelohnt! In den letzten paar Tagen vor den 55 km Cyclassics 2010 kommt es zu einer schon gar nicht mehr geahnten, enormen Leistungsexplosion! Meine Grundkondition hat offenbar in den Bergen doch gewaltige Fortschritte gemacht, und plötzlich und irgendwie kann ich das auch aufs Fahrrad umsetzen. Am Freitag, zwei Tage vor dem Rennen, fahre ich im täglichen Einzelzeitfahren gegen mich selbst (ich stoppe immer meine Fahrzeit auf dem Weg zur Arbeit - einer meiner zahlreichen und völlig unnützen Spleens... Wobei ich Wert auf die Feststellung lege, mich immer pingelig an die Verkehrsregeln zu halten, na, fast immer...) einen neuen, bisher völlig unvorstellbaren Fabelrekord. Ganz sicher ein Rekord für die ewige Ewigkeit (d.h. bis zu meiner Rente)!! Die Rahmenbedingungen waren in dem Moment zwar perfekt, aber das kann man dann ja auch mal mitnehmen. Für das Rennen zwei Tage später bin ich also offenbar doch fit!

15. August 2010: Die Vattenfall-Cyclassics 2010 in Hamburg laufen, meine Strecke: 55 km. Die Anfänger-Runde, gerade richtig für mich absoluten Beginner mit gerade mal einem Rennen Erfahrung. Der Himmel ist bedeckt, doch es bleibt trocken. Als ich zum Start komme, bleibt mir bei dem tollen Anblick des gigantischen 55 km-Starterfeldes fast die Luft weg. Fantastisch! Ich starte aus dem allerletzten Startblock. Die Stimmung dort ist bei den meisten völlig locker und entspannt, ganz anders, als ich es beim Velothon in Berlin erlebt habe. Das Warten bringt Spaß, es finden sich lustige Gesprächsrunden. Wieder bin ich mit meinem flotten Trekkingrad unterwegs, entdecke beim Warten auf den Start aber tatsächlich in meinen direkten Umfeld noch zwei weitere Radfahrer, die, wie ich auch, mit Nabenschaltung unterwegs sind! Mein Warte-Nachbar meint, er habe heute morgen gerade noch rechtzeitig daran gedacht, den Einkaufskorb vom Rad abzubauen.

Das Rennen selber läuft für mich super - obwohl es selbst in diesem hinteren Feld wesentlich hektischer und viel unruhiger verläuft, als das Berliner Rennen. Die Startfelder sind offenbar sehr inhomogen. Obwohl ich mir genau wie in Berlin vorgenommen habe, das Rennen ruhig und langsam anzugehen, bin ich von Beginn an pausenlos am Überholen. Es sind einfach zu viele richtig langsame Radler dabei, die mir immer wieder direkt vor der Nase fahren. Also werde ich immer flotter.

Ein augenfälliger Unterschied zu dem Berliner Velothon: Es sind viel, viel, viel mehr Zuschauer am Straßenrand, um die Fahrer anzufeuern. Besonders toll ist Wedel, wo am Marktplatz eine Menge Leute richtig Remmidemmi machen - klasse! Tatsache: Das ist für mich eine echte Motivation! Beflügelt davon verpasse ich doch tatsächlich die kurz danach folgende Verpflegungsstation in Wedel - irgendwie erkannte ich die tatsächliche Abfahrt gar nicht rechtzeitig. Mein Geschwindigkeitsrausch hält immerhin bis zum Fuß des Kösterbergs in Blankenese, den ich mit fast 35 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit (mit einem Trekkingrad) erreiche. In der Folge rächt es sich allerdings, dass ich das Rennen viel zu flott angegangen bin und zudem in Wedel meine Wasserflasche nicht aufgefüllt habe: ich lasse erheblich nach.

Die Hektik lässt das gesamte Rennen über allerdings nicht nach, man muss schon sehr aufpassen und umsichtig fahren, um keinen Unfall zu bauen. Das Ziel nach 55 km (bzw. tatsächlich 57 km) erreiche ich dann mit einer offiziellen Fahrzeit von 1 Stunde 43 Minuten - Schnitt 33,2 km/h. Direkt vor dem Ziel erwischt mich aber noch etwas, worüber ich mir zuvor gar keine Gedanken gemacht hatte, und was mich auch im Nachhinein noch sehr berührt: Tausende Zuschauer haben sich rund um das Hamburger Rathaus und die Mönckebergstraße versammelt und veranstalten dort eine derart tolle Feier und ein solches Spektakel, dass ich mit einer in meinem ganzen Leben noch nie dagewesenen, totalen Ganzkörper-Gänsehaut in das Ziel rolle. Genau der "Gänsehaut-Moment" der Zieleinfahrt, von dem ich so oft im Internet gelesen hatte - da hatte ich ihn leibhaftig, ganz plötzlich und unvorbereitet, von Kopf bis Fuß! In Berlin hatte ich ihn mir selbst versaut, außerdem waren dort allerhöchstens ein Zehntel der Zuschauer.

Nach dem Rennen bestimmen zwei Gedanken meine Eindrücke: Wie schön ist es, als Radfahrer mal beklatscht zu werden! An allen, allen anderen Tagen im Jahr störe ich als Radfahrer nur, werde, obwohl ich mich recht penibel an Verkehrsvorschriften halte, beschimpft, ignoriert, bedroht, übersehen, beleidigt und gerne auch gefährdet. Wie ein Aussätziger! Und hier bei den Cyclassics werde ich plötzlich beklatscht, zum Teil frenetisch! Das ist toll!! Der zweite Gedanke, noch beim Ausrollen im Ziel: Das war ja relativ locker, die Frage, ob ich überhaupt ins Ziel komme, stellte sich überhaupt nicht - aber jetzt habe ich so richtig Blut geleckt, nächstes Jahr fahre ich die 100 km! Und in Berlin fährst Du auch nochmal, sage ich mir, wenn dort auch wieder nur die kurze Runde. Und zu diesen beiden Rennen soll sich noch ein drittes Jedermannrennen gesellen - welches auch immer. Basta!

11. Januar 2011: Die Anmeldephase für die Vattenfall-Cyclassics 2011 startet. Hatte ich mich einen Monat zuvor schon für die 64 km-Runde in Berlin angemeldet, so melde ich mich für das Hamburger Rennen tatsächlich für die Runde über 100 km an. Vorgeschrieben ist dort eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 26 km/h, d.h. man hat für die 100 km knapp vier Stunden Zeit. Ein Training kann man sich jedoch einstweilen abschminken, der Winter hat Norddeutschland fest im Griff.

12. März 2011: Der erste relativ warme Wochenend-Tag in Norddeutschland. Ich nutze ihn, um schon mal die 100 km-Cyclassics-Strecke kennen zu lernen. Erstmals wird die Südschleife in diesem Jahr in entgegengesetztem Uhrzeigersinn gefahren. Das heißt, dass es schon nach knapp zehn Kilometern über die Köhlbrandbrücke geht. Vor der habe ich enormen Respekt, schon allein, weil es dort keinerlei Schutz vor Wind gibt. Zudem darf man mit dem Rad normalerweise nicht über die Brücke fahren. Üben also nicht möglich! Aber auch ansonsten erschreckt mich die Fahrt auf der 100 km-Runde ganz schön, als ich sie heute abfahre: es ist viel, viel hügeliger, als ich mir vorgestellt habe - und das bin ich ja nun gar nicht gewohnt. Schon allein der fast fünf Kilometer lange Anstieg von der B73 nach Ehestorf hin erschüttert mich geradezu. Ich schaffe die 100-km-Runde an diesem März-Tag eigentlich nur komplett, weil ich etliche Pausen mache. Und auch immer wieder mal auf die Karte gucken muss, um zu erkunden, wo die Strecke eigentlich entlang verläuft. Natürlich fahre ich immer, soweit vorhanden, schön brav auf den Fahrradwegen. Diese haben leider allerdings oftmals einen fast desolaten Zustand, rütteln und schütteln einen Radler durch. Auch gibt es Straßen, die so dermaßen schlecht sind, dass ich mich frage, wie das Rennen im vergangenen Jahr darüber gegangen sein kann. Unrühmlicher Höhepunkt ist das Dorf Nenndorf, die Straße dort ist eigentlich nur Schrott. Als ich mich abends wieder mühsam nach Hause gekämpft habe, steht für mich fest: Die Anmeldung für 100 km-Strecke war wohl ein leichtsinniger Fehler! Umgehend plumpse ich aufs Bett, völlig erschlagen. Alles tut mir weh, vor allem die Gelenke schmerzen nach den schlechten Wegen noch mehr, als die müden Muskeln. Ob ich wohl die Straßen- bzw. Radwegebauer im Landkreis Harburg wegen akuter Gesundheitsgefährdung anzeigen sollte? Meine Durchschnittsgeschwindigkeit von 22,5 km/h ist auch viel zu lahm - man muss ja 26 km/h fahren. Einschließlich Köhlbrandbrücke.

Mai 2011: Das Training verlagere ich auf einige kleinere Strecken-Touren, fahre in Verbindung mit einer Dienstreise den Ilmenau-Radweg (in zwei Etappen) von Bad Bodenteich nach Hamburg, fahre den Elberadweg von Brunsbüttel bis Hamburg (auch in zwei Etappen, da der fiese Gegenwind mich geradezu fertig macht). Der mit meiner Liebsten gemeinsame Frühjahrs-Urlaub führt uns den Ruhrtal-Radweg und ein Stück den Niederrhein entlang bis in die Niederlande - und zurück bis Dortmund. Ein Vorsatz von mir: Die Zahl 100 Kilometer muss für mich jeden Schrecken verlieren, es darf bei dem Rennen nicht so sein, dass 100 km mir besonders viel erscheinen! So, wie es im Jahr zuvor eigentlich noch war, da erschienen mir 100 Kilometer für ein Rennen ja fast noch wahnsinnig! Einen richtigen Trainingsplan habe ich nicht, mache das alles so ganz nach Zeit, Möglichkeiten und Gefühl. Bei einigen meiner Touren bin ich allerdings mit einem Trainingspartner unterwegs. Manchmal fällt es mir schwer, ihn zu mögen: Der Wind! Er macht sehr fit - aber kann auch ungeheuer quälen. Bei einer Tour an der Elbe blies er mir so dermaßen stark entgegen, dass ich völlig erschöpft alle zwei bis drei km eine kurze Pause einlegen muss, meist als kurze Fotopause getarnt. An einigen Strecken pfeift er mir dermaßen stark entgegen, dass ich unter Einsatz all meiner Kräfte gerade mal auf eine Geschwindigkeit von 15 km/h komme. Ganz so, wie bei einem Berganstieg.

Cyclassics 2011, Schafe bei Glückstadt

Aus der Trainingsfahrt an der Elbe wurde mehr und mehr eine Foto-Tour... Allerdings gab es auch reichlich tolle Motive, wie hier bei Glückstadt.

22. Mai 2011: Das Velothon in Berlin steht an! Zum zweiten Mal fahre ich das Berliner Rennen über 64 km mit, diesmal allerdings nicht alleine. Mit vier Freunden und Freundesfreunden bilden wir ein Rennteam. Leider wurden bei der Anmeldung für das Team irgendwelche Fehler gemacht, so dass unser Team "Cycling Gag" leider nicht in den Ergebnislisten der Team-Wertungen auftaucht... Mein Renngefährt ist wieder mein Trekkingrad mit Gepäckträger, Nabendynamo, Ständer, Licht und Nabenschaltung. Das von mir angestrebte Ziel verfehle ich jedoch deutlich. Trotz weitaus mehr Trainingskilometern, als im Vorjahr, bin ich zu meiner eigenen Verblüffung nicht schneller. Eigentlich wollte ich unter zwei Stunden fahren - aber das klappt deutlich nicht. Das Fahrerfeld ist zwar weitaus homogener, als bei den Cyclassics in Hamburg im August zuvor, aber trotzdem fahren nur allzu oft die Leute auf der Mitte der Straße gemütlich nebeneinander her, während der linke Fahrstreifen von den Wahnsinnigen, den Rennfahrern, belegt ist, die immer nur überholen müssen. Der rechte Fahrstreifen bleibt meist frei. Mit einer Fahrzeit von 2 Stunden 4 Minuten bin ich fast exakt so schnell, wie im vergangenen Jahr, wenn man bedenkt, dass ich damals insgesamt zehn Minuten Pause gemacht hatte. Meine Durchschnittsgeschwindigkeit von 31,1 macht mich schon nicht mehr richtig zufrieden - eigentlich war mehr drin. Wie schnell doch die eigenen Ansprüche steigen können! Meine Teammitglieder jedoch sind allesamt total begeistert von dem Rennen, für drei von ihnen war es die erste Teilnahme an einem Radrennen überhaupt. Immerhin bleibt es mir in diesem Jahr erspart, irgendwelche Stürze aus der Nähe zu erleben. Und: Das Rennen scheint sich in Berlin langsam zu etablieren, bei dem richtig schönen Wetter sind bestimmt zehnmal so viele Zuschauer an der Strecke, wie im Jahr zuvor. Und das ist ja durchaus ein schöner Ansporn.

30. Mai 2011: Es ist wunderschönes Wetter, also mache ich früh Feierabend, schwinge mich auf mein Rad, fahre nach Heimfeld um dort den Weg in die Harburger Berge über Ehestorf nach Vahrendorf zu üben. Dreimal fahre ich die knapp fünf km lange Steigung hinauf und rolle sie jeweils gemütlich wieder runter. Von Mal zu Mal erscheint sie mir etwas flacher zu sein, sie verliert ihren Schrecken. Danach radle ich wieder nach Hause, wo ich nach 68 km erstmalig die Hoffnung kriege: Das kann vielleicht doch klappen mit der 100 km Strecke und ihren Hügeln! Zumindest kenne ich diese nicht steile, aber elendig lange Steigung nach Ehestorf jetzt einigermaßen!

13. Juni 2011: Es ist Pfingstmontag. Am Samstag, zwei Tage zuvor, hatte ich den Ilmenau-Radweg von Uelzen bis nach Hause gefahren, 135 Kilometer mit vielen hoppeligen Wald- und Feldwegen, ein gutes Koordinationstraining, zum Teil im Regen. Aber doch kein Grund, nicht schon wieder auf Rad zu steigen: Ein zweites Mal fahre ich heute die komplette 100 km Cyclassics-Runde, natürlich ohne die für Radler verbotene Köhlbrandbrücke. Als Ersatz für die Köhlbrandbrücke fahre ich die Ehestorfer Steigung wieder zweimal hoch. Jetzt kenne ich sie gut, sie lässt mich nicht mehr verzagen. Um mir die Strecke etwas besser einzuprägen, mache ich beim Fahren zahlreiche Fotos. Froh bin ich, als ich über die kleine Abfahrt das Dorf Nenndorf erreiche: Der Schrott-Asphalt ist durch einen neuen Belag ersetzt worden. Der ist nun glatt wie ein Baby-Popo. Großartig! Zuweilen bin ich durchaus flott unterwegs - und so schlägt mein Ärger über die vielen furchtbar schlechten Radwege diesmal in gehörige Wut um. Was für Zumutungen, was für bodenlose Frechheiten einem dort als Radweg präsentiert werden! Hunderte Löcher, Baumwurzeln, Dellen, Absenkungen und schlecht verlegte Pflastersteine quälen jeden Radfahrer dort! Wenn man über diese Stellen gar mit 25 km/h oder mehr hinweg fährt, und das noch mit knüppelhart aufgepumpten Reifen und ohne Federung, dann fühlen sich diese Löcher wie Peitschenhiebe an. Auf einigen Strecken reiht sich Delle an Delle, und wenn man mit 30 km/h drüber fährt, dann wird man vom Landkreis Harburg förmlich ausgepeitscht. 1000 Peitschenhiebe für Cyclassics-Fahrer, die sich an die Verkehrsregeln halten! Unfassbar! Ich fühle mich dort total schikaniert als Radfahrer. Hoffentlich kann ich hier meiner immer noch brodelnden Wut hier an dieser Stelle auch zumindest annähernd Ausdruck verleihen! Ansonsten brauche ich aber auch auf dieser Runde erschreckend viele Pausen. Kann mir nach wie vor nicht wirklich vorstellen, die Runde vor dem Besenwagen in Renngeschwindigkeit durchzuhalten! Frustrierend auch: Trotz des zunehmenden Trainings bin ich heute gerade mal exakt 0,02 km/h im Schnitt schneller, als im März.

Cyclassics 2011, Nordheide

Auf meiner Trainingsrunde erfreue ich mich an der schönen Gegend in der Nordheide - ärgere mich allerdings unsäglich über die katastrophalen Zustände vieler Radwege! Auf der oftmals friedlichen Strecke kaum vorstellbar allerdings, dass hier zwei Monate später rund 15.000 "Jedermänner" über die Straße rauschen werden.

Juli 2011: Auch der Haupturlaub mit meiner Liebsten findet diesmal viel auf dem Fahrrad statt, wenn auch nicht als Streckenfahrt, sondern im Landkreis Märkisch-Oderland (siehe hier eine Zusammenfassung früherer Touren in dieser tollen Gegend) führen unsere Wege sternförmig von einem Standort in die Umgebung, oft genug über hügeliges Gelände. Von dem hat die Märkische Schweiz genügend zu bieten. Allein sechs unserer Touren führen über mehr als hundert Kilometer. Ich fühle mich einigermaßen fit und meine Hoffnungen für die 100 km Cyclassics steigen weiter!

Freitag, 29. Juli 2011: Der schwungvolle Urlaub hat sich offenkundig gelohnt, ich bin ziemlich fit: Wieder habe ich bei dem Rennen gegen mich selber (auf dem Weg zur Arbeit, mit gestoppter Zeit) ein Erfolgserlebnis, pulverisiere meinen "Rekord für die lange Ewigkeit bis zu meiner Rente" von vor einem Jahr heute geradezu. Unglaublich! Läuft doch!

Samstag, 13. August 2011: Zu großen Trainingseinheiten bin ich nach dem Urlaub allerdings gar nicht mehr gekommen. Aber an dem Wochenende direkt vor den Cyclassics beschließe ich, die komplette 100 km-Strecke noch ein drittes mal in Angriff zu nehmen. Diesmal will ich von meiner Haustür bis nach Jesteburg (wo beim Rennen die Verpflegungsstation sein wird) ohne weitere Pause fahren, es sei denn bei verkehrsbedingten Stopps vor Ampeln oder so. Auch werde ich einige ganz besonders schlimme Stücke, auf denen die Radwege zwar vorgeschrieben, aber letztlich unbenutzbar bzw. gefährlich sind, auf der Straße fahren - auch wenn ich es außerorts nicht mag, zwischen den 150 km/h fahrenden Autos zu fahren. Das Vorhaben gelingt ganz gut, ich komme ohne jegliche Pause bis Jesteburg. Dort bin ich aber so erschlagen, dass ich gleich eine dreiviertel Stunde Pause mache, schön im Sonnenschein auf einer Bank sitzend. Meine Durchschnittsgeschwindigkeit ist nicht doll (23,2 km/h), aber etwas besser, als bei den anderen Übungen. Bis auf einen kurzen Fotostopp auf der Freihafenbrücke (die "Queen Mary 2" ist mal wieder zu Gast und ich mag den Ausblick auf sie) geht es tatsächlich wieder direkt nach Hause. Die reine Netto-Fahrzeit beträgt fast fünf Stunden, zu langsam für die Cyclassics. Viel zu langsam! Und das, obwohl ich natürlich nicht mal über die Köhlbrandbrücke fahren konnte, vor deren Steigung ich nach wie vor gehörigen Respekt habe. Jedenfalls wäre ich mit der heutigen Geschwindigkeit ein sicheres Opfer für den Besenwagen. Aber dass man im Rennen dann doch etwas schneller ist, das habe ich ja schon früher gelernt. Erfreulich immerhin: ich stecke solche Belastungen inzwischen relativ locker weg, plumpse Zuhause nicht mehr einfach um vor Erschöpfung und habe auch am Tag danach keinen Muskelkater. Trotzdem: Meine Skepsis bleibt, bei den Cyclassics tatsächlich ins Ziel zu kommen.

Mittwoch, 17. August 2011, vier Tage vor dem Rennen: Ab heute läuft die Akkreditierung für die Cyclassics. Von Neugierde getrieben fahre ich nach Feierabend noch zum Gänsemarkt, um meine Startunterlagen zu holen. Erfreut nehme ich zur Kenntnis, dass ich in Startblock P eingeteilt worden bin. Hinter mir wird es noch drei weitere Startblocks geben, das heißt, dass ich beim Start schon mal gut 15 Minuten Vorsprung vor dem Besenwagen haben werde - das empfinde ich als ungemein beruhigendes Gefühl. Insgesamt dauert allein der Start, der für die 100 km- und die 155 km-Strecken gemeinsam erfolgt (155 Kilometer!!! Was für ein Wahnsinn!) rund eineinhalb Stunden! Ansonsten habe ich bereits einen prima "Schlachtplan" überlegt, wo meine Liebste mich an der Strecke anfeuern, aufmuntern und versorgen kann. Ich fühle mich stark und strotze eigentlich vor Energie - wie schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Aber ob meine Energie für 100 km Rennen reichen wird?

Donnerstag, 18. August 2011, nur noch drei Tage bis zu den Cyclassics 100: Alles fühlt sich eigentlich ganz gut an, jetzt nur noch drauf achten, dass ich mir nicht mit irgendeiner blöden Bewegung etwas zerre, vielleicht an meinem empfindlichen Rücken. Ansonsten fühle ich mich stark. Inzwischen hält eine enorme Anspannung bei mir ein. Alles, aber auch wirklich ALLES ALLES ALLES bei mir fixiert sich mittlerweile allein auf das Rennen am Sonntag. Mein Job wird eher so nebenbei, routiniert und abwesend abgearbeitet. Werde ich meine große Herausforderung am Sonntag tatsächlich bewältigen?

Freitag, 19. August 2011, der letzte Arbeitstag, noch zwei Tage bis zu den Cyclassics 100: Voller Elan, Energie und Vorfreude geht's zur Arbeit. Und wieder zurück. Aber dann, in meinem Lieblingscafé, erreicht mich ein Anruf meiner Herzallerliebsten: Es gibt einen schlimmen, traurigen Todesfall, sie kann aus ihrem Heimatort nicht nach Hamburg reisen und mich also auch nicht beim Rennen unterstützen! Natürlich, keine Frage! Meinen Beistand brauche sie zwar nicht, wirklich nicht, aber sie müsse sich um anderes kümmern. Binnen Sekunden merke ich, wie mir vor Schreck, Trauer und Mitgefühl all mein Elan aus meinem Körper entweicht. Schlagartig fühle ich mich, als ob man mir den Stecker gezogen hat und ich nur noch auf Batteriebetrieb gerade so eben funktioniere. Was tun? Soll ich doch zu ihr reisen? Sie verneint das vehement, ich bin trotzdem unsicher. Oder soll ich das Rennen doch fahren? Ich tapse nach dieser Nachricht noch über die das Rennen begleitende Ausstellung am Jungfernstieg, habe aber schlagartig keine Lust mehr auf all das!

Samstag, 20. August 2011, ein Tag vor meinen Cyclassics 100: Lustlos schleiche ich durch den Tag, fühle mich wie ein leerer Luftballon: Völlig schlapp! Nein ich bräuchte nicht zu ihr kommen und bei ihr sein! Und ich solle doch bitte, bitte das Rennen nach all der ganzen, monatelangen körperlichen und gedanklichen Vorbereitung fahren. Hm... Irgendwie verspüre ich gar keinen rechten Ansporn mehr und fühle mich verloren: Wie kann man in solch einem Moment an ein profanes Radrennen denken? Es gibt sooo vieles, was viel, viel wichtiger ist! Beschließe dann aber doch, die Cyclassics mitzufahren, eigentlich nur wegen ihres Zuspruchs. Fülle über den Abend meinen Wasserspeicher auf - der Folgetag soll der wärmste seit einigen Wochen werden. Mache auch eine "Pasta-Party" nur für mich alleine, mein Trainingspartner hatte desinteressiert abgewunken. Die Kohlenhydrat-Speicher wollen gefüllt werden. Eher mechanisch und weil es einfach dazu gehört kümmere ich mich noch mal um mein Rad, reinige die Kette gründlich und fette sie neu, stelle die Bremsen noch einmal nach, pumpe die Reifen auf fast Maximaldruck (die fantastischen Rolleigenschaften meines Trekkingrades faszinieren mich immer wieder, wenn alles optimal eingestellt ist). Nachts um eins lege ich mich ins Bett, fühle mich leer und bin überhaupt nicht mehr aufgeregt, wie noch zwei Tage zuvor. Die letzten Gedanken dann aber doch: Wäre aber doch toll, wenn ich es heil bis ins Ziel schaffen werde!

Sonntag, 21. August 2011 - Der Renntag der Cyclassics, meine Strecke 100 km, bzw. offiziell vermessene 102,6 km.

6:00 Uhr: Der Wecker weckt mich lärmend zu dieser fiesen Sonntags-Zeit. Schlagartig bin ich wach, hellwach. Überlege aber noch eine Weile, ob ich wirklich fahren soll. Und wenn - dann jetzt aber mit voller Konzentration, bitte! Verdammt nochmal, irgendwie klebe ich zwischen den Welten... Konzentration jetzt! Meine Waage zeigt fast zwei Kilogramm mehr, als am Tag zuvor - gut so! Die Wasser- und Kohlenhydrat-Speicher sind gefüllt! Also los jetzt, ran da, verdammte Hacke!

6:15 Uhr: Wer duscht schon VOR einer sportlichen Betätigung? Ich! Irgendwie brauche ich das heute Morgen um zu mir zu kommen.

6:30 Uhr: Ich lege noch mal nach bei Wasser und den Kohlenhydraten, zwei Scheiben Vollkornbrot, eine Banane, ein Powerriegel. Viel Leitungswasser. Für das Rennen fülle ich zwei ein-Liter-Trinkflaschen mit leicht gesalzenem Leitungswasser.

7:00 Uhr: Rein in die Rennklamotten! Neben einer richtig guten Radlerhose gehören bei mir immer noch einige billige Discounter-Artikel dazu - in denen ich mich aber wohl fühle. Der Morgen ist ziemlich frisch, also kommen auch noch die Armlinge drauf. Die kann man ja praktischerweise zum Rennen abnehmen und einfach in die Rückentaschen tun. In denen schlummern schon diverse Teile: Drei Power-Riegel, ein Gel, etwas Geld (man weiß ja nie, vielleicht nehme ich statt des Besenwagens ja doch ein Taxi?), Handy, HVV-Ticket.

7:10 Uhr: Es geht Zuhause los. Obwohl mein Start erst um 8:45 sein soll, fahre ich schon in Richtung Starterfeld 55 km. Ich habe Lust auf etwas Rennatmosphäre, wahrscheinlich hilft mir das auch, etwas konzentrierter zu werden - nach den Vorfällen der letzten Tage bin ich immer noch nicht so richtig in Rennstimmung, bin ziemlich abwesend. Mein Stadtteil scheint am Sonntag zu dieser Zeit noch tief und fest zu schlafen.

Cyclassics 2011, Starterfeld 55 km

Das Starterfeld der 55 km begibt sich auf den Weg (Foto: Upsolut/Hochzwei).

7:20 Uhr: In der Bogenstraße treffe ich plötzlich und unvermittelt auf ein großes Feld Radrennfahrer, die alle etwa aus meiner Richtung kommen. Alle fahren Werbung, für Nivea oder Tesa - ach so, die haben sich in der Beiersdorf-Zentrale bei mir um die Ecke getroffen, und rollen nun auch zum Start. Bestimmt gut 100, vielleicht 150 Fahrer sind das. Ein Hauch von Radrenn-Atmosphäre erreicht mich.

7:27 Uhr: Ich schaue mir mal die VIPs des 55 km-Feldes etwas näher an. Lustig, wie aufgeregt einige von ihnen da herumnesteln! Das riesige Starterfeld der 55 km-Jedermann-Starter schlägt mich wieder in seinen Bann. Ja, jetzt ist es bei mir angekommen, das "Rennfeeling". Jetzt gehöre ich auch dazu. Endlich!

7:45 Uhr: Nachdem ich "meinen" Startblock P schon mal in Augenschein genommen habe, begebe ich mich zum Deichtorplatz und schaue mir von dort die Starts der ersten paar Startblocks für 100 km und 155 km an. Diese in der Luft liegende Konzentration und Energie packt mich so langsam, ein wenig Adrenalin zieht in meine Blutbahnen ein.

8:10 Uhr: Die ersten Startblocks starten aus der Mönckebergstraße, mein Startblock P ist dann ganz vorne in der Steinstraße gelegen. Nachdem ich die ganze Steinstraße noch mal auf und ab gefahren bin, um die gigantischen Ausmaße des gesamten Starterfeldes irgendwie zu begreifen, begebe ich mich eine gute halbe Stunde vor meinem Start in meinen Startblock. Der ist noch nicht mal bis zur Hälfte gefüllt, ich platziere mich irgendwo an den Rand in der vorderen Hälfte.

8:20 Uhr: Die Wartezeit nutze ich, um noch etwas von dem überschüssigem Wasser zu entsorgen. Die Warteschlange vor den sieben oder acht Dixi-Klos ist mit zehn Leuten erfreulich kurz! Warum trotzdem drei oder vier Leute meinen, sich unbedingt und wortlos vordrängen zu müssen, ist mir ein Rätsel. Wahrscheinlich haben die schon den totalen Tunnelblick und meinen, dass man auch auf dem Weg zum Klo schon schneller sein muss, als die anderen. Bemitleidenswerte Gestalten.

8:25 Uhr: Bei der Rückkehr von den Klos hat sich der Block wie von Geisterhand schlagartig gefüllt. Trekkingräder sind hier in dem 100 km-Feld im Gegensatz zum letztjährigen 55 km-Feld weit und breit nicht zu sehen - außer meinem. Geschweige denn Gepäckträger, Fahrradständer, Pedalen ohne Klick oder gar 8-Gang-Nabenschaltungen. Ein wenig Trotzhaltung kommt in mir auf: Euch werde ich es schon zeigen! Nun gut, wenigstens ein paar von Euch. Nicht nur mit meinem Fahrrad, auch mit meinen unrasierten Beinen und den billigen Klamotten sehe ich hier wie ein absoluter Exot aus. Die offenbar in vielen Jedermann-Radrennfahrern steckende "Style-Polizei", die üblicherweise auch auf kleinste Fehler bei der Ausstattung zumindest mit Hohn und Spott reagiert, hält sich bei mir zurück. Offenbar sehen die mich als hoffnungslosen Fall an. Kaum jemand in meiner Nähe, der nicht das vollständige Dress eines berühmten Fahrrad-Teams oder eine schicke Firmen-Ausstattung trägt und somit Werbung fährt. Ganz klare Sache: In dem 100 km-Feld bin ich mit meiner gesamten Ausstattung noch viel, viel, viel mehr Exot, als auf den bisher gefahrenen Kurzstrecken! Immerhin steht direkt hinter mir ein anderer Exot - auch er trägt Kleidung ohne Werbung und fährt ein zwar edles, aber altes Rennrad mit Stahlrahmen. Wir plaudern eine Weile freundlich, Exoten halten zusammen! Er fährt die Strecke seit etwa zehn Jahren jährlich, bemerkt, wie er von Jahr zu Jahr etwas langsamer wird... Tja. Das passiert mir als Neuling ja nicht. Noch nicht.

Cyclassics 2011, Starterfeld 100 km

Starterfeld für die 100 km-Strecke in der Mönckebergstraße (Foto: Upsolut/Hochzwei).

Kilometer 0, 8:54 Uhr: Es geht los, endlich. Die Spannung stieg bei mir zuletzt doch sehr an! Nach wenigen Metern schon geht es um die Rechtskurve auf die Klosterwall - und kurz danach durch den Startbogen. In genau dem Moment stecke ich meinen Fahrrad-Computer in seine Halterung, ab jetzt misst er meine Fahrt. Alle Fahrer sortieren sich zunächst etwas, es geht in dem Fahrerfeld um mich herum gesittet zu.

Kilometer 2, 8:59 Uhr: Das noch etwas wuselige Feld wird kräftig abgebremst auf Fußgänger-Geschwindigkeit - am Straßenrand kann man zwei offenbar nicht allzu schlimm verletzte Opfer eines Unfalls sehen. Nach gerade mal knapp zwei Kilometern! Wie ärgerlich! Nur zögerlich kommt das Feld wieder in Schwung - ein wenig wirkte das wohl wie eine Warnung.

Kilometer 5, 9:05 Uhr: Der Veddeler Damm mit sein schräg verlaufenden Gleisen ist etwas unangenehm - aber eigentlich doch einfach zu fahren: Man muss nur konzentriert und gerade darüber fahren, den Lenker gut festhalten, fertig. Einige machen da immer etwas komische, kleine Schlenker, in einer engen Gruppe wäre das richtig gefährlich. Na, ich mit meinen im Vergleich unendlich breiten Reifen habe da natürlich eh gut reden.

Kilometer 8, 9:11 Uhr: Es geht los: Der schnurgrade Anstieg auf die Köhlbrandbrücke beginnt recht seicht. Ein wenig halte ich mich zurück, könnte locker schneller hoch, will aber bei dem fantastischen Wetter auch einfach etwas von der Aussicht haben. Und die ist wirklich grandios! Insgesamt schaffe ich es viel lockerer die Brücke hinauf, als ich befürchtet hatte, am Scheitelpunkt immer noch mit 20 km/h. Sie ist nicht so steil, wie vermutet, und es gibt heute auch kaum Wind. Es ist tatsächlich ein erhabenes Gefühl, über die Brücke zu radeln!

Cyclassics 2011, Jedermannrennen

Köhlbrandbrücke beim Jedermannrennen der Vattenfall Cyclassics (Foto: Upsolut/Hochzwei).

Kilometer 12, 9:17 Uhr: Die Abfahrt von der Brücke gestaltet sich auch viel unkomplizierter und ungefährlicher, als ich befürchtet hatte. Es gibt genügend Platz und die Bögen sind langgezogen genug, um schön schnell dort hinab zu rauschen. Mein Tacho zeigt ein Tempo von knapp 50 km/h an. Es wäre ein Leichtes, das auf über 60 oder 70 km/h zu steigern, aber ich lasse Vernunft und Kontrolle walten.

Kilometer 18, 9:28 Uhr: Die Waltershofer Straße zieht sich etwas in die Länge, aber das kenne ich ja von meinen Testfahrten. Irgendwo an ihrem Ende erreichen mich die ersten des nach mir gestarteten Blocks Q. Insgesamt bin ich aber flott unterwegs und alles fällt mir leicht - nur mein Rücken fühlt sich etwas "verzogen" an. Na, wird schon.

Kilometer 20, 9:31 Uhr: Die scharfe Linkskurve in den Ehestorfer Heuweg ist erreicht. Zum ersten Mal gibt es hier ernstzunehmende Zuschauermengen, die kräftig anfeuern. Irgendwo hier wäre auch meine Liebste - wäre sie denn da... Hier beginnt jetzt "mein Revier", die folgenden fünf Kilometer der Strecke kenne ich so gut, wie sonst nur den Zielbereich der Runde. Der Anstieg beginnt sehr seicht. Meinen Vorsatz, das hier ruhig anzugehen, kann ich irgendwie ganz und gar nicht in die Tat umsetzen! Ich hatte mir für diesem Anstieg zu Beginn ein eigenes Tempolimit bei 25 km/h gesetzt - und jetzt fahre ich die etwas größere Asphaltblase hier zu Beginn mit deutlich über 30 km/h hoch.

Kilometer 23, 9:37 Uhr: Es wird beständig etwas steiler im Emmetal. Immer noch fahre ich fast 30 km/h - und schon längere Zeit überholt mich keiner mehr. Ich weiß: nach der langgezogenen Rechtskurve kann man die ersten Häuser von Ehestorf durch die Bäume sehen. Ich schere weiter nach links aus, bestätige meinen schon in Berlin erreichten Ruf als "Bergziege". Je steiler es wird, um so mehr Fahrer überhole ich. Immer noch bin ich mit 25 km/h unterwegs - in meinem privaten Umfeld gibt es so einige, die das mit der Geschwindigkeit hier nicht mal runter fahren würden. Aber ich bin jetzt in diesem Moment wirklich in meinem Element und habe ungeheure Freude daran, meinem Rad, das ja sicherlich das doppelte Gewicht der meisten Konkurrenten hat, hier so richtig die Sporen zu geben! Als Ehestorf so langsam komplett in Sichtweite und damit das steilste Stück kommt, werde auch ich zwar deutlich langsamer, aber insgesamt schaffe ich den Anstieg ohne jegliche Probleme. Allerdings habe ich auf dem rasant gefahrenen Anstieg ganz sicher eine Menge Energie verpulvert. Aber, egal einstweilen! Das hat mir einen solchen Spaß gemacht, das allein das die gesamte Mühe der Vorbereitung wert gewesen ist! Nebenbei habe ich ein paar hundert Fahrer überholt.

Kilometer 24, 9:40 Uhr: Oben auf dem Hügel packt mich zum ersten Mal die Faszination, die von den vielen begeisterten Zuschauern hervorgerufen wird. Wirklich toll! Ein kurzes Luftholen, dann gibt es ja schon die nächste, allerdings nur kleine Steigung nach Vahrendorf.

Kilometer 31, 9:56 Uhr: Es geht von Dorf zu Dorf, immer wieder mit kleinen, manchmal spürbaren Steigungen. Jetzt ist Langenrehm erreicht - darauf hatte ich mich schon gefreut: Es ist mit 137 Meter der höchste Punkt der Strecke. Es wird zwar weiterhin hügelig bleiben und hin und wieder auch mal kurze, spürbare Steigungen geben - aber dies war für mich durchaus markanter Punkt auf der Runde. Alles läuft recht gut, ich bin fit und an diesem Punkt noch nicht so geschafft, wie ich befürchtet hatte. Jetzt gibt es erstmal ein nettes Bergab-Stück. Meine Durchschnittsgeschwindigkeit liegt zu dieser Zeit irgendwo bei knapp 31 km/h, das bedeutet, dass mein Vorsprung vor dem Besenwagen ziemlich groß sein muss! Allein das Zwicken im unteren Rücken will nicht recht verschwinden.

Kilometer 34: 10:02 Uhr: Nenndorf ist erreicht, der Ort, der sich im März noch mit völlig kaputter Fahrbahndecke präsentiert hatte - die mittlerweile ja perfekt erneuert war. Die abschüssige Strecke nach der Autobahnbrücke in Verbindung mit der guten Fahrbahn verlocken zum schnellfahren, wieder reicht das Tacho an die Marke von 50 km/h heran. Nach den vorangegangenen, lebhaften Dörfern bin ich fast schon etwas enttäuscht, dass man in Nenndorf nur ganz, ganz wenige einzelne Zuschauer sieht. An der Kirche vorbei geht es durch den Ort und nach der scharfen Rechtskurve auf die Bremer Straße sind sie plötzlich alle, alle da: Anscheinend das ganze Dorf feiert ein großes Fest und hat sich auf dem gut 100 Meter langen, geraden Stück in der Rechts-Links-Kurven-Kombination versammelt. Mit dröhnender Musik und wohl reichlich Getränken. Ein toller Gänsehautmoment! Richtig gerührt, glücklich und stolz bin ich, am liebsten würde ich anhalten, mich für diesen wirklich tollen Empfang irgendwie bedanken. Aber die rasant heran nahende Linkskurve nimmt schon wieder meine volle Aufmerksamkeit in Anspruch - und schon sind wir wieder weg...

Kilometer 36, 10:05 Uhr: Zeit, mal einen Energieriegel zu essen - möglichst bevor ich irgendwelchen Hunger verspüre! Das Öffnen dieser Dinger auf dem Rad habe ich geübt, das ist nicht so einfach - also warte ich einen Moment ab, als rings um mich herum gerade mal kein anderer Fahrer ist. Und Tatsache: Ein geübter Griff, die Packung ist ohne jeden Schlenker beim Fahren geöffnet und ich kaue "genüsslich" auf der weichen, klebrigen, süßen Masse herum. Habe das Gefühl, dass sie mir sofort neue Energie gibt. Oder ist das nur ein Psychotrick mit den Dingern?

Kilometer 42, 10:15 Uhr: Buchholz rauscht heran. Eine Sambaband feuert im Ortszentrum mit ihren Rhythmen an, ansonsten sieht man hier in der 38.000 Einwohner-Stadt nur ganz wenige, vereinzelte Zuschauer - längst nicht so viele Leute, wie auf den bisherigen Dörfern. Komisch, eigentlich.

Kilometer 47, 10:24 Uhr: In Holm-Seppensen ist von den Zuschauern her viel mehr los, als in Buchholz. Das kann ich wieder in vollen Zügen genießen! Irgendwie schon sonderbar, wie sehr mich diese Zuschauermengen beeinflussen und anspornen.

Kilometer 52, 10:34 Uhr: Irgendwo bei Schierhorn. Recht penibel fahre ich am rechten Rand der Straße. Mittlerweile hält sich das Verhältnis von selber überholen und überholt werden inetwa die Waage - nachdem ich auf den ersten ca. 40 Kilometer vor allen Dingen überholt wurde, selber eigentlich nur bei den Steigungen auch mal anderen davon fuhr. Inzwischen ist das Fahrerfeld jedoch im Großen und Ganzen sehr homogen und es wird zumeist ausgesprochen rücksichtsvoll gefahren. Und doch gibt es so einige, die auf diese "Fahrdisziplin" scheißen. Immer wieder gibt es "Rennfahrer", die mich, obwohl ich ganz rechts fahre, in einem extrem knappen Abstand von gefühlten fünf Millimetern überholen - realistisch gesehen vielleicht drei bis fünf Zentimetern. Eine einzige fehlerhafte Bewegung, von wem auch immer, würde dabei unweigerlich zum Sturz führen! Und dieses Verhalten von denen nur, um noch ein Promill Windschatten mehr mitzunehmen und somit vielleicht einen Tausendstelmillimeter pro Sekunde schneller zu sein. Mich jedoch nerven diese Hirnamputierten sehr! Es sind glücklicherweise wirklich nur wenige, aber die sind dumm und doof genug! Kurz hinter Holm kracht es bei mir dann fast: Wieder überholen mich zwei so extrem knapp, und der zweite von ihnen zieht sofort, als er mit dem Oberkörper an mir vorbei ist, scharf nach rechts, schneidet mir bei etwa 35 km/h in seinem Kampf um Zehntausendstel Sekunden meinen Weg direkt ab. Offenbar hat er vergessen, dass sein Fahrrad auch noch ein Hinterrad hat. Ohne eine Vollbremsung und ein waghalsiges Ausweichmanöver auf die letzten Zentimeter Asphalt hätte ich ihn (und auch mich) direkt über den Haufen gefahren. Der mindestens 65-jährige ist zudem offenbar so dermaßen voller Adrenalin, dass er meinen zugerufenen Fluch gar nicht wahrnimmt. Ein Vollidiot - im künstlichen Jugendwahn! Nicht der erste dieser Kategorie, der mir heute unangenehm auffällt, aber der gefährlichste. Ich beschließe, diese Verblödeten, die doch eigentlich als Rennfahrer einigermaßen erfahren und souverän sein sollten, "Graue Wölfe" zu nennen. Wie Alpha-Tierchen versuchen sie, alle und alles wegzufressen und niederzumachen.

Cyclassics 2011

Freudige Gesichter nach "Bezwingen" der Köhlbrandbrücke (Foto: Upsolut/Hochzwei).

Kilometer 53, 10:36 Uhr: Schon fallen mir die nächsten "Grauen Wölfe" auf. Zwei von ihnen radeln in recht gemütlichem Tempo nebeneinander ganz konstant in der Mitte der Straße, obwohl auf der rechten Seite alles frei ist. Warum können die nicht einfach rechts fahren? Nur, weil man graue Haare und sonnengebräunte, jedoch faltige Haut hat, kann man doch nicht tun und lassen, was man will... Zum überholen sind solche blöden Typen (und das sind längst nicht immer nur "Graue Wölfe"!) immer ein Problem: fahre ich sehr scharf quer über die Straße - ein durchaus gefährliches Manöver - um sie vorschriftsmäßig links zu überholen, oder überhole ich sie gegen alle Regeln rechts? Auch das nicht ohne Gefahr. Immer wieder saublöde Situationen, die völlig sinnlos und idiotisch hervorgerufen werden. Was viele anscheinend überhaupt nicht wissen: Auch bei einem Radrennen gilt die Straßenverkehrsordnung! Was unter anderem bedeutet, dass man rechts fahren muss. Von diesen notorischen "Mitte-Fahrern" gibt es nicht wenige (aber: beim Velothon in diesem Jahr waren es noch deutlich mehr!). Gefährlich sind auch die Radler, die ohne ersichtlichen Grund extrem langsam, d.h. 15 bis 20 km/h, fahren, vielleicht, weil sie etwas essen oder trinken wollen. Wenn man mit 15-20 km/h schneller auf die aufgeschlossen kommt, ist das zuweilen schon so, als würde die einem überraschend entgegen kommen. Eine besondere Art Geisterfahrer.

Kilometer 56, 10:41 Uhr: Nachdem es mal ein längeres abschüssiges Stück Strecke gab, bei dem man ohne Einsatz von Bremsen gar nicht vermeiden kann, über die Geschwindigkeit von 50 km/h hinaus zu kommen, komme ich gut um die scharfe, leicht abschüssige Linkskurve in Dierkshausen. Die hatte mir zuvor einige Sorgen bereitet, nicht zuletzt wegen der hohen Geschwindigkeit, mit der man auf sie zukommt! Aber alles geht mit etwas Konzentration ohne Probleme, auch um mich herum. Ab Dierkshausen geht es dann wieder direkt nach Norden, in Richtung Hamburg. Auch ein gutes Gefühl!

Kilometer 59, 10:45 Uhr: Die sehr hoppelige Straße mit dem kleinen Anstieg nach Asendorf zeigt mir, dass sowohl meine als auch die Energie eines Powerriegels nicht ewig hält. Mittlerweile muss ich immer mal wieder ganz kurze Ruhepausen einlegen - was bedeutet, dass ich kurze Stückchen gemütlich mit 30-32 km/h fahre. Aber ich erhole mich immer wieder recht schnell und komme immer zügig wieder auf meine normale "Reisegeschwindigkeit" von 35-38 km/h. Echte Gruppenfahrten jedoch meide ich, absichtlich. Das erscheint mir als Ungeübten mit den anderen Ungeübten zusammen einfach als viel zu riskant. Also fahre ich die meiste Zeit "im Wind", hänge mich manchmal an einzelne andere Fahrer oder kleine Grüppchen, bin da aber nicht sehr versiert. Ganz froh bin ich trotzdem, dass die Verpflegungsstation in Jesteburg langsam in Reichweite kommt. Bis dahin ist jedoch wieder mal ein kleiner Anstieg zu meistern. Mittlerweile fliege ich diese Hügel zugegebenermaßen nicht mehr so locker hoch.

Kilometer 62, 10:50 Uhr: Der sehr enge Kreisverkehr an der Ortseinfahrt von Jesteburg stellt auch kein allzu großes Problem dar. Was aber an dieser Stelle wohl bei den ambitionierten Rennfahrern so alles passiert? Ich will es mir gerade nicht vorstellen - fahre lieber konzentriert zur Verpflegungsstation weiter. Die wird von Schildern angekündigt, vor einer scharfen Kurve steht noch jemand mit einem Megaphon - und doch ist es sehr überraschend und plötzlich, dass die Station sofort hinter der Kurve auftaucht. Mein Ausscheren habe ich zwar angezeigt, aber doch muss ich scharf bremsen, um die winzige Einfahrt zu erwischen. Alles ist voller Fahrer und viel, viel zu eng. Meine zwei Liter Wasser waren schon fast alle, ich benötige bei der ungewohnten Wärme dringend neues Wasser - nur: Das ist ein echtes Problem! Die Helfer hier an der Verpflegungsstation sind bei allem Engagement und aller Freundlichkeit einfach total überfordert. Es gibt nichts zu trinken in den bereitstehenden Pappbechern und auch ein kleines Stückchen Obst erwische ich nur mit Glück. Immerhin gibt es Power-Riegel in genügender Menge - aber Banane wäre mir einfach lieber. Geduldig stehe ich in einer Schlange an, bekomme immerhin einen ganzen Liter Iso-Drink, klares Wasser bekommt man nicht, geht gerade nicht, sämtliche Wasserleitungen werden gebraucht um neuen Iso-Drink herzustellen. Schade! Ich brauche beim Radfahren immer viel Wasser und ein Liter Getränk bis zum Ziel ist bei den herrschenden Temperaturen einfach extrem wenig für mich. An den vielen, völlig ausreichenden Dixi-Klos ist immerhin keine Schlange und kein Vordrängeln - und deren Zustand ist überraschend gut! Geradezu angenehm. Insgesamt dauert meine Pause hier jedoch achteinhalb Minuten. Das ist nicht gut, einfach zu lang! Aus meiner noch dürftigen Erfahrung weiß ich, dass drei bis vier Minuten lange Pausen mir richtig gut tun können. Aber als ich jetzt nach dieser langen Zeit wieder aufs Rad steige, merke ich, dass meine Muskulatur richtig ausgekühlt ist und sich hart anfühlt. Auf der schmalen Straße ist das Einfädeln in das Rennen auch heikel und nur mit einiger gegenseitiger Rücksichtnahme zu absolvieren - aber alles geht gut. Aber gegenseitige Rücksichtnahme ist bei dem Rennen ganz eindeutig sowieso eher die Regel! Drei bis vier Kilometer benötige ich, bis alles wieder rund läuft und sich auch wieder gut anfühlt.

Kilometer 67, 11:06 Uhr: Den Hinweis auf dem Transparent über der Straße in, ich glaube es war Harmstorf, ignorieren wir Fahrer müde lächelnd: "Tempo runter, bitte! Schulanfang!". Nein, niemand geht mit dem Tempo runter! Bei mir rollt es wieder rund, meine gesamte Durchschnittsgeschwindigkeit laut meinem Tacho liegt mittlerweile bei über 32 km/h! Es sind noch gut dreißig Kilometer bis zum Ziel - und meine Aussichten, diese für mich insgesamt wirklich große Herausforderung tatsächlich zu meistern, stehen gar nicht schlecht, befinde ich!

Kilometer 75, 11:22 Uhr: Das Fahrerfeld ist mittlerweile wunderbar ruhig und harmonisch! Großartiges Fahrradfahren auf der abgesperrten Strecke! Die wirklich ambitionierten Fahrer, die hinter mir gestartet sind, haben mich inzwischen längst alle überholt. Kaum noch jemand prescht wild an mir vorbei. Ein wenig habe ich das Gefühl, dass alle Fahrer um mich herum das gleiche Ziel haben: Das Ziel! Immer noch ist in jedem Ort ein kleines Fest - und den Leuten bin ich sehr dankbar. Das ist eine echte Unterstützung! Aller PowerRiegel zum Trotz merke ich die Belastung inzwischen nämlich deutlich, meine Pausen-Phasen während der Fahrt werden häufiger und ausgedehnter. Die Autobahnbrücke bei Fleestedt mit ein paar lächerlichen Höhenmetern lässt mich geradezu einbrechen, mit gerade mal 20 km/h schleiche ich sie hinauf, viel langsamer, als den langen Anstieg nach Ehestorf. Da es aber in der Folge nur noch wenige und nur kurze Anstiege gibt, steigt mein Gesamtschnitt ganz langsam aber immer noch weiter. Nur noch ein kurzes Stück, bis wir wieder auf Hamburger Gebiet sind.

Kilometer 77, 11:25 Uhr: Die Winsener Straße wird uns eine Weile begleiten, bis in die Innenstadt von Harburg hinein. Auf diesem ersten Stück hier im Hamburger Stadtteil Langenbek haben sich enorm viele Leute versammelt, um die Fahrer aufzumuntern und anzufeuern. Das tut gut! Die letzte ernstzunehmende Steigung der gesamten Strecke steht uns im weiteren Verlauf der Winsener Straße bevor, danach folgen nur noch ein kurze paar Anstiege auf kleinere Brücken und in Hamburg ein kleines gemeines Stück hinter den Deichtorhallen. Diese Steigung hier jedoch zieht sich irgendwie ganz schön hin, ich kenne sie durchaus, falle wieder auf 20 km/h zurück, und habe... tja... heute... puh... irgendwie einfach... keine Lust mehr, sie hinauf zu fahren... Aber... es nützt ja nichts... Rauf da! Ich weiß: bei dem Hochhaus da vorne ist auch diese kleine Steigung geschafft. Puh!

Kilometer 79, 11:29 Uhr: Der letzte Anstieg wird belohnt mit einem längeren abfallenden Stück Weg auf der Winsener Straße - rund zwei Kilometer geht es seicht bergab und man erreicht mal wieder knapp 50 km/h - oder wenn man wirklich will, auch deutlich mehr.

Kilometer 80, 11:31 Uhr: Am Phönix-Center vorbei geht es in den Innenstadtbereich von Harburg. Hier kann ich nicht vermeiden, ein wenig melancholisch zu werden: Wäre ich doch an diesem Ort noch einmal von meiner Liebsten angefeuert worden. Sehr schade und traurig, dass Sie nicht kommen konnte. Sie hätte hier auch, für alle Fälle, eine mit Wasser gefüllte Trinkflasche bei sich gehabt. Diese hätte ich jetzt wirklich richtig gerne übernommen. Tja... Immerhin wäre das Phönix-Center ein perfekter Ort für einen kurzen Stopp gewesen: Es steht dort kein einziger Zuschauer und es ist auch nicht sonderlich eng. Die letzten gut zwanzig Kilometer muss ich aber nun halt ohne Stärkung auskommen. Die danach zum Teil schmalen Straßen in Harburg erfordern jedoch wieder Aufmerksamkeit, und so sind meine leicht trüben Gedanken schnell wieder weggedrängt.

Cyclassics 2011, Radrennfahrer-Schatten

Schattenspiele (Foto: Upsolut/Hochzwei).

Kilometer 84, 11:38 Uhr: Auf der Brücke des 17. Juni geht es etwas mühselig über die Süderelbe nach Wilhelmsburg. Keine Frage mehr: Ich werde mein großes Ziel, das Ziel, erreichen! Der Besenwagen wird hinter mir bleiben, weit hinter mir! Als es in Richtung Georg-Wilhelm-Straße geht, zeigt mein Tacho eine Durchschnittsgeschwindigkeit von exakt 32,80 km/h an. Ich weiß ja, dass hier keine Steigungen mehr zu erwarten sind. Es wird also wohl kein Problem sein, im Ziel einen Durchschnitt von 33 km/h schaffen. Ein wenig staune ich selber über meine Leistungsfähigkeit - schon zu diesem Zeitpunkt! Zugegeben: etwas früh.

Kilometer 85, 11:40 Uhr: Wilhelmsburg, auf der Georg-Wilhelm-Straße, hier hatte ich mal fast zwei Jahre lang meinen Arbeitsplatz. Nur wenige Zuschauer. Ein einzelner Fahrer im Trikot von Helmuts Fahrrad Seiten (die Forums-Aktiven der Homepage bilden inzwischen ganze Fahrrad-Teams in eigenen Trikots) überholt mich, gar nicht so rasant. Gestartet ist der aus Block R, hat also rund zehn Minuten auf mich aufgeholt. Offenkundig hat ihn das durchaus geschlaucht - so richtiges hohes Tempo hat er auch nicht mehr drauf. Ich beschließe, ihm auf den Fersen zu bleiben. Schaffe das aber gerade noch so.

Kilometer 87, 11:44 Uhr: Wilhelmsburg. Als es auf die Straße "Bei der Wollkämmerei" geht, wird es still um uns Radler - kein einziger Zuschauer mehr! Ich vermisse das plötzlich richtig - auch, wenn in Wilhelmsburg sowieso nur wenige zuguckten. Könnte etwas Anfeuerung gerade jetzt gut gebrauchen. Den Anschluss an den Radler von Helmuts Fahrrad Seiten halte ich. Mühsam! Mache aber eine verblüffende Feststellung: Meine Durchschnittsgeschwindigkeit sinkt. Ganz langsam - aber sie sinkt! Was ist los? Stimmt was mit dem Fahrrad nicht?

Kilometer 89, 11:48 Uhr: Zollstation Neuhöfer Damm. Nach längerer Zeit mal wieder Zuschauer: Die beiden Zollbeamten sind heute arbeitslos, machen trotzdem ihren Dienst, schauen sich das Spektakel an und beklatschen die Radfahrer. Sehr nett! Kurz winke ich zum Gruß. Ich spüre eine gewisse Müdigkeit. Allerdings werden sie im Hafengebiet wohl für lange Zeit die letzten Zuschauer bleiben.

Kilometer 91, 11:52 Uhr: Elsholzbrücke. Immer wieder wandert mein Blick nach unten, irritiert. Irgendetwas stimmt nicht! Unsicher betaste ich meine Beine - sie sind noch da. Gut so! Aber sie fühlen sich so... ja, so... leer an! Dem Radler von Helmuts Fahrrad Seiten, immer noch direkt vor mir, scheint es nicht viel anders zu gehen. Trotzdem komme ich nur mit Mühe bei dem mit. Sorry für's lutschen, denke ich. Mein Schnitt sinkt ganz langsam immer weiter. Wahrscheinlich war es doch völliger Unfug, meine Kräfte auf dem erstbesten Anstieg nach Ehestorf schon so dermaßen früh zu verpulvern! Aber egal - hat ja einfach riesigen Spaß gemacht.

Kilometer 92, 11:53 Uhr: Veddeler Damm. Erinnerungen an den Flughafen Tempelhof bei den beiden Velothons in Berlin werden wach: Eine elendig lange, schnurgerade Strecke und spürbarer Wind direkt von vorne. Auch das noch! Den Wind hatte ich bisher noch gar nicht wahrgenommen. Die schrägen Schienenquerungen sind unangenehm - aber kein wirkliches Problem. Aber auf der Fahrt gen Süden vor ca. zweieinhalb Stunden hat mir dieses Stück irgendwie besser gefallen!

Kilometer 93, 11:56 Uhr: Veddeler Damm. Ich schleiche mit ca. 27, 28 km/h so dahin, mein Gesamtschnitt sinkt weiter beständig. Der Wind nervt - und langsam kapiere ich, dass ich meine Körner einfach mal verbraucht habe! Vielleicht bewirkt ja ein Stückchen PowerRiegel nochmal Wunder? Das Stück Veddeler Damm zieht sich einfach quälend dahin. Die allgemeine Konzentration scheint auch dramatisch nachzulassen: Lag noch zur Mitte des Rennens vielleicht alle fünf Kilometer mal eine verlorene Trinkflasche auf der Straße, so liegen diese Zeugen der Unachtsamkeit inzwischen im Schnitt alle 150-200 Meter irgendwo rum. Man muss schon sehr aufpassen, mit denen nicht ins Gehege zu kommen. Wo ist eigentlich der Fahrer von Helmuts Fahrrad Seiten geblieben?

Kilometer 94, 11:58 Uhr: Kurz vor der Freihafenbrücke. Endlich ist der Veddeler Damm vorbei! Mittlerweile quäle ich mich richtig, will nur noch ins Ziel. Schaffe nur in guten Momenten noch mehr als 30 km/h. Wie aus dem Nichts erlebe ich dann aber plötzlich doch das, was ich auf keinen Fall erleben wollte: Einen Sturz, direkt rechts neben mir. Nur aus dem Augenwinkel sehe ich beim Überholen, dass ein Fahrer einer direkt neben ihm fahrenden Fahrerin am Fahrbahnrand etwas rüberreichen will. Oder aber er will etwas wegwerfen auf den Straßenrand. Genau konnte ich das nicht erfassen. So oder so, was immer es war: Es gerät ihr in das vordere Laufrad, gibt ein sehr merkwürdiges, schnarrendes Geräusch (was mich erst so richtig hinschauen lässt). Sie wird sehr hektisch, schlängelt, kommt mit der an dieser Stelle sehr hohen Bordsteinkante in Konflikt - und überschlägt sich vornüber, bei einer Geschwindigkeit von wohl knapp 30 km/h. Warum hat sie im Sturz bloß den Lenker nicht losgelassen und die "handschuhgeschützten" Hände zum Schutz vors Gesicht gehalten...? Hoffentlich geht es Ihr gut und sie hat keine schlimmen Schäden davongezogen! Und mittlerweile auch wieder Lust aufs Rennrad-Fahren.

Kilometer 96, 12:01 Uhr: Versmannstraße. Diese langen Geraden auf den letzten Kilometern ziehen sich irgendwie zäh und kaugummiartig hin. Ich stehe total unter Schock von dem Sturz. Auf diesen Adrenalinschub hätte ich nur allzu gerne verzichtet! Aber ich weiß auch, dass ich alle Aufmerksamkeit dem Geschehen auf der Straße widmen muss, damit mir nicht ähnliches passiert. Konzentration jetzt, Alter! Wieder gibt es sehr schräge und hoppelige Bahngleis-Querungen. Gefährlich!

Kilometer 98, 12:05 Uhr: Deichtorplatz - Klosterwall. Jeden (Arbeits-)Tag fahre ich diese blöde Steigung von Deichtorplatz in Richtung Hauptbahnhof rauf, und es hat Jahre gedauert, bis ich dieses kurze, fiese Stück als Freund und Trainingspartner akzeptiert habe. Früher mühsam heraufgekrochen, inzwischen mit Power und flott - wahrscheinlich schneller hinauf, als die meisten das Stück runterfahren. Jetzt und heute ist es die letzte, winzige Steigung vor der Schleife ins Ziel. Und genau dieses Ziel sehne ich inzwischen herbei. Und kann es auch eine Zehntelsekunde lang sehen, als wir die Mönckebergstraße passieren.

Kilometer 98,5, 12:06 Uhr: Glockengiesserwall - Ballindamm. Endlich wieder Zuschauer! Auch, wenn es albern klingt: Diese machen einen doch irgendwie stolz. Vor der recht engen 90-Grad-Kurve auf den Ballindamm und der direkt anstehenden leichten Fahrbahnverengung hatte ich ein wenig Muffe - aber sie ist kein echtes Problem. Wieder werde ich melancholisch: Wohl hundert Mal in den vergangenen Wochen und Monaten hatte ich mir ausgemalt, in der folgenden Kurve auf den Jungfernstieg meine Liebste zu platzieren und ihr freudig und glücklich zuzuwinken, wenn ich tatsächlich die Cyclassics bis hierhin - ganz kurz vor dem Ziel! - schaffen sollte. Nun komme ich tatsächlich und wirklich hier hin - aber sie kann leider nicht dort stehen. Allerdings ist das Fahrerfeld und auch die Straße viel zu eng, um jetzt an besondere Begrüßungsgesten zu denken. Konzentration ist auch hier nötig! Es stehen noch viele Zuschauer dort. Aus einem früheren Rennen, das ich allein als Zuschauer erlebte (siehe hier meine kleine Bilderserie zu den Cyclassics 2009 als Zuschauer - neues Fenster), weiß ich, dass das irgendwann in Kürze nur noch wenige einzelne sein werden.

Kilometer 100, 12:09 Uhr: Valentinskamp. Die Anziehungskraft des Ziels merke ich noch nicht so richtig. Tatsächlich: Mit meinen Kräften bin ich ziemlich am Ende! Ich beschließe, ganz rechts zu fahren und mehr oder minder lahm und gemütlich ins Ziel zu rollen - das aber so richtig in vollen Zügen und breit grinsend zu genießen!

Kilometer 101, 12:10 Uhr: Kurz hinter dem Johannes-Brahms-Platz in der Kaiser-Wilhelm-Straße, ich rolle so mit deutlich unter 30 km/h dahin. Plötzlich taucht rechts hinter mir ein geschlossener, richtig schneller Trupp von Rennfahrern auf. Ja, Gute Güte, die Felderzusammenführung mit den Fahrern der 155 km-Strecke hatte ich ja total vergessen! Diese sind deutlich schneller als ich und fahren in einem recht eng geschlossenen Verband. Und ich selber fahre plötzlich ganz links auf der (gerade zusammengeführten) Strecke, kapiere sofort, dass ich noch einmal richtig Schwung aufnehmen muss, um für die nicht als ungeahntes Verkehrshindernis aufzutauchen, die Reserven reichen immerhin noch, um mich in Windeseile auf knapp 40 km/h zu steigern. Allerhöchste Konzentration jetzt! Ich habe in dem Moment richtig Angst - Fahrer in geschlossenen Gruppen sehen nicht, was sich vor ihnen tut und die können nicht wirklich vorausahnen, dass da auf der linken Seite noch so ein paar verlorene, langsamere 100 km-Fahrer unterwegs sind. Ich fürchte schlicht, dass die mich einfach über den Haufen fahren! Ein Seitenwechsel auf die rechte Fahrseite ist derzeit völlig unmöglich, also klebe ich ganz links.

Kilometer 101,6, 12:11 Uhr: Rödingsmarkt. Irgendwie ist der Trupp doch langgezogener und ungefährlicher an mir vorbei gekommen, als ich gefürchtet hatte. Alles ging ohne große Probleme, ich sehe mich trotzdem gezwungen, meine flotte Geschwindigkeit beizubehalten, es ist durch die zusammengeführten Felder plötzlich viel enger, als vorherzusehen war. Aber auf diesen zusätzlichen, gehörigen Adrenalinschub hätte ich nur zu gerne verzichtet! Jetzt kann ich mich aber auf die rechte Seite rüberstehlen, die Fahrsituation gibt das her.

Kilometer 102, 12:12 Uhr: Das Rathaus kommt in Sicht, die Mönkebergstraße naht. Und mit ihr eine große Masse an Zuschauern, etliche tausende. Die trommeln auf Werbebanden, tröten, rasseln, rufen und grölen, jubeln, klatschen oder gucken nur freundlich... Meine müden Beine nehme ich hier jetzt nicht mehr wahr, es ist, als ob man hier von der Energiewelle der Zuschauer die letzten paar hundert Meter einfach ins Ziel hinein getragen wird. Phantastisch! Anrührend! Toll! Aber wohl aufgrund des zusätzlichen Adrenalin-Schocks von vor zwei Minuten bleibt meine Gänsehaut diesmal irgendwie aus.

Kilometer 102,6, 12:13:01 Uhr: Das Ziel! Die 100 Kilometer Cyclassics-Strecke - geschafft! Sofort nehme ich mein Tacho aus seiner Halterung. Er wird mir später zeigen: 102,89 Kilometer zurückgelegt, in einer Fahrzeit von 3 Stunden, 10 Minuten und 29 Sekunden (die gut acht Minuten Standzeit an der Verpflegungsstelle hat mein Tacho nicht mitgemessen, das wird aber in der offiziellen Zeitnahme dann dabei sein). Das entspricht einem Durchschnitt von 32,63 km/h (der offizielle Schnitt wird niedriger sein - eben wegen der Pausenzeit in Jesteburg) bei einer maximalen Geschwindigkeit von 53,4 km/h. Mein Focus-Trekkingrad mit all seinem Gewicht und mit Nabenschaltung hat mich also auch über die 100 Kilometer-Strecke gut in das Ziel gebracht! Gut gemacht, Focus! Danke!

Ziel + 100 Meter, 12:13:30 Uhr: Ganz plötzlich stehen alle! Ich steige vom Rad. "Zielstau" nennt man das wohl. Ein Ordner läuft hektisch durch das Feld und ruft über Megaphon, dass alle wieder auf ihre Räder sollen und weiterfahren! Und tatsächlich: Nach etwas Wartezeit kann man wirklich weiterrollen. Gut so - sonst wird es für die ins Ziel fahrenden hinter uns gefährlich.

Ziel + 500 Meter, 12:17 Uhr: Der Burchardplatz. Irgendwie viel zu klein und zu eng für all die eintreffenden Radler, die hier ihre Transponder abgeben und dafür im Tausch die in Plastikfolie verpackte Medaille in Empfang nehmen. Wie langweilig: Diese sieht exakt genauso aus, wie im Vorjahr. Aus Medaillen mache ich mir nicht viel, ganz im Gegensatz zu meiner Liebsten: Sie hängt sehr an ihren erlaufenen Medaillen und Pokalen. Apropos: Meine Liebste! Ich sollte ihr möglichst bald eine SMS schicken, dass ich es gut und gesund ins Ziel geschafft habe. Aber immerhin gibt es hier Getränke (mein furchtbar süßer Iso-Drink aus Jesteburg reichte bei den mittlerweile ungewohnt warmen Temperaturen gerade so hin!) und ne Banane. Also erstmal etwas stärken. Ein wenig komme ich ins Sinnieren: Keine Frage - die Cyclassics sind ohne jede Frage die "Mutter aller Jedermannrennen" in Deutschland. Ein bewegendes Erlebnis, diese mitzufahren! Berlin wird sich strecken müssen, um stimmungsmäßig auch nur in die Nähe des Erlebniswertes von Hamburg zu kommen! Allerdings hat Hamburg auch 12 Jahre Vorsprung vor Berlin - und bei den ersten Rennen in Hamburg war die Stimmung sicher auch nicht so bewegend, wie jetzt. Zumal wir heute absolutes Kaiser-Wetter genießen durften. Übrigens: Auf der gesamten Strecke habe ich nicht ein einziges anderes Trekking-Rad gesehen. Allein ganz kurz vor dem Ziel habe ich jemanden mit ganz aufrechter Haltung auf einem City-Rad mit Dreigang-Schaltung überholt. Respekt! Mit solch einem Rad ins Ziel zu kommen, ist schon eine Leistung für sich!

Ziel + 700 Meter, 12:27 Uhr: Ich habe es mir auf der Grasfläche am Deichtorplatz gemütlich gemacht. Sitze zufrieden rum, genieße die Sonne, trinke mein letztes Wasser aus der Flasche und schaue mir, nach der SMS, die anderen Zielankömmlinge an. Allzu viele kommen jetzt nicht mehr ins Ziel - ich war doch sehr weit hinten. Macht aber nix! Ich wollte es heil ins Ziel schaffen - und habe genau das geschafft, letztlich besser als gedacht. Als ich mich mal bequem in den Schneidersitz setze, ereilt mich ein noch nie erlebtes Gefühl: Ein Oberschenkel-Krampf kündigt sich rasend schnell an. Hui! Das ist aber unangenehm! Schnell das Bein wieder gerade machen und den Krampf herausdehnen, bevor er wirklich Einzug hält. Als ich dann mit weit ausgestreckten Beinen auf dem Gras sitze, brennt es irgendwann ganz fiese in der linken Wade. Autsch!! Ja, was ist denn das nun? Kurz danach noch mal und noch mehr... Und auch in der rechten Wade. Etwas erschreckt bemerke ich, dass ich es mir versehentlich in der Umgebung einer Kolonie kleiner, gelblicher, fieser Ameisen gemütlich gemacht habe. Und die beißen jetzt ganz respekt- und gnadenlos zu. Jetzt schmerzen meine Beine nicht nur vor Erschöpfung, nein, die Waden brennen auch noch viel fieser wegen der Angriffe von außen! Ja, kennen diese Viecher denn gar keinen Anstand - wo ich doch gerade in feierliche Stimmung komme?

Ziel + 5000 Meter, 13:12 Uhr: Kaiser-Friedrich-Ufer. Die Attacken der Ameisen halte ich nicht lange aus, schwinge mich nach zehn Minuten wieder auf mein Fahrrad und flitze nach Hause - oh, pardon, eine schamlose Übertreibung!! Also, noch einmal von vorne:
Kaiser-Friedrich-Ufer. Die Attacken der Ameisen halte ich nicht lange aus, klettere nach zehn Minuten extrem mühsam wieder auf mein braves Fahrrad, und rolle gemütlich nach Hause. Allein auf den ersten drei bis vier Kilometern komme ich dabei in drei richtig brenzlige, gefährliche Situationen durch allgemeine Unachtsamkeit auf den Radwegen durch Fußgänger und Sonntagsradler. Trotz meines sehr lahmen Tempos: Drei Fast-Unfälle! Ich muss mich wieder umstellen: Jetzt bin ich nicht mehr in einem Bereich unterwegs, in dem man automatisch aufeinander Acht gibt. Noch einmal Konzentration jetzt also auf dem Weg nach Hause! Die Gelegenheitsradler bei dem schönen Wetter sind nicht weniger gefährlich, als die insgesamt doch sehr, sehr wenigen achtlosen Cyclassics-Fahrer! Auf der Fahrrad-Brücke am Isebekkanal am Kaiser-Friedrich-Ufer schaut eine Gruppe von ca. zehn Spaziergängern genervt-schuldbewusst, als ich maule und sie frage, warum sie nicht die in zehn Metern Entfernung verlaufende Fußgänger-Brücke nehmen, statt dessen aber die getrennte Radfahrer-Brücke komplett blockieren...   Verblüfft bin ich allerdings, dass das Radfahren mir nach ein paar Minuten schon wieder Spaß bringt, ich habe mich erstaunlich schnell und gründlich erholt! Sollte ich im kommenden Jahr vielleicht mal die 155 km-Strecke ausprobieren? Ach, völliger Quatsch, ich muss mir nur wieder in Erinnerung zurückholen, wie ich mich eben auf den letzten ca. 10 Kilometern der 100 doch tatsächlich gequält habe!

Montag 22. August, ein Tag nach den Cyclassics 100: Heute habe ich darauf verzichtet, mit dem Rad zur Arbeit zu fahren - vor allem aber, weil ich einen Abendtermin habe, der ganz und gar nicht Fahrrad-Kompatibel ist. Aber: meine Beine fühlen sich zugegebenermaßen auch etwas schlapp und müde an. Am schlimmsten jedoch: Diese fiesen Ameisen-Bisse!! Sie brennen und jucken gleichzeitig. Fiese Viecher!

Dienstag, 23. August, zwei Tage nach den Cyclassics 100: Endlich wieder aufs Rad! Der Weg zur Arbeit lässt sich schon wieder gut fahren. Als ich nach 11 km dort ankommen, fühlen sich meine Beine tatsächlich wie neu an, auch die letzte Müdigkeit habe ich gerade eben aus ihnen herausgetreten! Ob ich im kommenden Jahr nicht doch mal meine Grenzen weiter ausloten soll - und mich für die 155 km anmelden? Vor allen Dingen der dort geforderte Schnitt von sage und schreibe 31 km/h schreckt mich jedoch sehr ab!

Samstag, 27. August, sechs Tage nach den Cyclassics 100: Die Ameisenbisse, es sind tatsächlich acht oder neun Stück auf den Waden, quälen mich immer noch, sie jucken wie verrückt. Offenbar scheuere ich auch nachts unbewusst an ihnen herum. Unglaublich, was für ein Gift diese kleinen Biester da in mich gespritzt haben!

Mittwoch, 31. August, zehn Tage nach den Cyclassics 100: Auch der letzte Ameisenbiss lässt mich mittlerweile in Ruhe - das war ja eine völlig überflüssige und ungeahnt Folgeerscheinung der Cyclassics: Vorher, beim Training, Peitschenhiebe auf den Radwegen und hinterher, nach dem Rennen, von Ameisenbissen gepeinigt... Komisch!

Freitag, 2. September: Im Internet sind vom Veranstalter die offiziellen Ergebnisse der Vattenfall-Cyclassics veröffentlicht worden. Meine offizielle Zeit bestätigt meine eigene Zeitnahme im Großen und Ganzen: Ich bin über die offiziell 102,6 km lange Strecke eine Zeit von 3 Stunden, 17 Minuten und 18,94 Sekunden gefahren. Der offizielle Schnitt: 31,20 km/h. Damit belege ich Platz 7781 unter insgesamt 9287 ins Ziel gekommenen männlichen Fahrern, von denen 9233 in die offizielle Wertung gekommen sind. Obwohl mir die Platzierung eigentlich ja Wurscht ist, ärgere ich mich ein wenig, nicht vier Plätze weiter vorne gelandet zu sein geworden zu sein. Dafür hätte ich nur 1,2 Sekunden schneller sein müssen. Wäre doch eigentlich drin gewesen, verdammt!

Ab sofort gilt jedoch: Nach den Vattenfall-Cyclassics ist vor dem Münsterland Giro! Dort wird am 3. Oktober aber nur die Strecke von 60 km in Angriff genommen und der Vorsatz für dieses Jahr in die Tat umgesetzt: Die Rennen in Berlin und Hamburg zu fahren - plus ein weiteres Rennen...

 

Natürlich hatte ich auch bei diesem Rennen wieder meinen GPS-Empfänger bei mir, das bedeutet, dass Sie sich hier die kml-Datei meines Rennens herunterladen können - und damit den exakten Weg direkt z.B. in Google Earth betrachten. Zu sehen ist die Runde auch in der (zoombaren) Karte unten. Bitte beachten Sie: In der Nähe von höheren Gebäuden (vor allem in den Innenstädten von Harburg und Hamburg-City) treten immer wieder kleine Störungen beim Satelliten-Empfang auf, was zu Abweichungen in der Strecken-Darstellung führt. Ich bin also nicht durch oder über Häuser gefahren...

 

Aber hiermit war meine persönliche "Cyclassics-Geschichte" noch nicht zu Ende! Auch im Jahr 2012 ging es für mich wieder auf meine "Heim-Strecke", die Hamburger Cyclassics. Und, wie der Ehrgeiz mich zuweilen so zwickt, meldete ich mich da, etwas übermütig, tatsächlich für die 155 km-Strecke an. Was ich dann dabei erlebte, kann man hier in meinem wiederum ausführlichen Erlebnisbericht "Cyclassics 2012 - 155 km: Hitzeschlacht am Kösterberg" nachlesen.

 

 

 

 

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Dirk Matzen

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